Es war einmal ein Vater, der hatte drei Söhne … Nicht wenige Märchen beginnen mit dieser Ausgangssituation und immer ist es der jüngste, der im Sinne väterlicher Wünsche erfolgreich handelt. Auch hier ist Vater Wolf von seinen beiden älteren Söhnen enttäuscht. Der eine ist mit einer älteren Dame befreundet (Rotkäppchen hat keine Lust) und der andere verdingt sich als Putzkraft (Die verflixten sieben Geißlein). Alle Hoffnung ruht somit auf dem jüngsten, der endlich im Wald für Angst und Schrecken sorgen soll. Doch wo immer der gar nicht furchteinflößende weiße Wolf hinkommt, wann immer er seine gelernten angstmachenden Maßnahmen anwendet – niemand fürchtet ihn, denn in allem ist ihm die rote Räuberin weit überlegen. Und so macht er sich auf, diese Gegnerin mit ihren eigenen Waffen zu schlagen …
Gekonnt und augenzwinkernd spielt Meschenmoser erneut mit dem Genre Märchen: seien es die Bildzitate in der Ahnengalerie der Wölfe auf dem Vorsatzpapier, die sich wiederholende Zahl Drei – 3 Brüder, 3 Versuche, das Fürchten zu lehren, 3 unheimliche Orte, die zu durchwandern sind – oder das Figurenensemble aus Zwergen, Feen, Wichteln, Einhörnern und Prinzen. Dazu kommen weitere kulturelle Referenzen: Captain Hook, Godzilla, die Naturforscherin Maria Sibylla Merian, ein griechischer Faun oder – wie immer in seinen Büchern – Groucho Marx. Eine Freude, all diese Einzelheiten zu entdecken!
Mit schwungvollem Strich, in einem durch den Einsatz von leuchtend-hellen Aquarellfarben gar nicht beängstigenden Ambiente, erzählt Meschenmoser eine Geschichte über enttäuschte Erwartungen. Da sind die des Vaters an die Söhne, die des niedlichen Wolfes an die Wirkung seiner (vermeintlich) furchterregenden Taten oder an die legendären Fähigkeiten der roten Räuberin (die Meschenmoser-Fans bekannt vorkommen wird). Aber er spielt auch mit den Erwartungen des Lesers. Nach den beiden sehr stringent erzählten und auf ein Märchen konzentrierten Büchern beschließt Menschenmoser seine Wolfs-Trilogie mit einem fast schon überladen wirkenden Höhepunkt.
Es gelingt ihm, sein bereits in den o. g. Bänden umgesetztes Plädoyer für das Anderssein, für das Aufbrechen von Erwartungshaltungen und starren Rollenbildern auf den Punkt und zu einem überzeugenden Abschluss zu bringen. Dies hätte nicht unbedingt so eindeutig formuliert werden müssen, schmälert aber nicht den Genuss.
Die im Buch gebotene Märchenvielfalt lädt dazu ein, über die Erwartungen an Haupt- und Nebenfiguren zu sprechen, um diese dann gründlich über den Haufen zu werfen und ganz neue Eigenschaften und Geschichten zu erfinden. Diese könnten mit Nachahmungen der herrlichen Mimik des Wolfes honoriert werden!
(Der Rote Elefant 37, 2019)