Roter Elefant Muggenthaler Bilderbuchempfehlung
Mein Bruder und ich und die Katze im Wald
Illustration: Eva Muggenthaler
24 Seiten
ab 6 Jahren
€ 15,00

Ein (un)gewöhnlicher Nachmittag voller (Ver) Wandlungen, Rollen(Spiele), Abwehr und Annäherung. Zwei Brüder bieten einer „Katze“, die sich im Wald verlaufen hat, in Gestalt eines „Wolfs“, einer „Spinne“ und einer „Brieftaube“ Hilfe an. Doch die Heulkatze lehnt ab. „Da wurden wir sauer, mein Bruder und ich.“ Nach lautem Streit, worin sich die Katze als „gewöhnliches“ Mädchen entpuppt und auch die Brüder wieder „gewöhnlich“ werden, fordert nun das Mädchen Hilfe für den Heimweg. „Unterwegs gewöhnten wir uns an das Mädchen.“ Zum Abschied „miaute“ es.

Erneut ließ der Peter Hammer Verlag einen Text des Schweizer Autors und Psychologen Jürg Schubiger († 2014) von Eva Muggenthaler illustrieren. Wie bereits Der weiße und der schwarze Bär bzw. Tausend Dummheiten stammt auch der vorliegende Text aus dem Kinderbuch Als die Welt noch jung war (DJLP 1996). In diesem Text nutzt Schubiger kindliche Allmachtsfantasien zum Erhellen von Psychodynamiken, wobei Muggenthaler mit einem detailreichen Mix aus Collageelementen, Buntstiftzeichnungen und Aquarellen den Text assoziativ ergänzt bzw. im Bild weitererzählt. Die Brüdersymbiose erzählt  Schubiger auf doppeldeutige Weise: Die Verwandlungen münden stets in ein Tier, z. B. beim „Wolf“ aufgeteilt in „Gebiss“ und „Rest“ und der Erzähler spricht stets von „Wir“, wobei das stereotyp ergänzte „mein Bruder und ich“ den Text naiv-komisch rhythmisiert. So inspiriert, gestaltet Muggenthaler eineiige Zwillinge: mit gleichen Schulmappen, Hemden, Baskenmützen. Ihre Wald-Fantasiewelt entfaltet sich als leuchtend grüngelbe Theaterkulisse, wobei sich diese handlungsaufbauend in ein Leporello verwandeln oder zerschnitten daherkommen kann. So spielen bei den Verwandlungsmühen der Brüder Kulissenteile eine bildironische Rolle, indem sie Mensch- und Tier(teile) voneinander scheiden. Andere doppeln hintergründig Formen, z. B. die Form der Katze.

Unzählige Bildzitate bzw. „rote“ Anspielungen vermitteln, dass sich Real- und Fantasiewelt gegenseitig speisen: Wolf mit Schulmappe, Spinne mit kariertem Hemd, Papierkorb mit winziger Anzeige „Katze vermisst“, rote Mädchenstiefel, rotes Sackgassenschild … Auf dem Heimweg erscheint der Wald (fast) real, wären da nicht wieder Relikte: weiße Flügel, Fliegenpilz„schirm“ auf Schneckenhaus …

Die außerhalb der Kulisse stehende Zuschauerbank, besetzt mit Schirmpilz, Stinkmorchel und Steinpilz, könnte auf die Geschichte neugierig machen. Was beobachten sie gemeinsam, was jeder einzeln? Was könnte real, was fantasiert sein?

(Der Rote Elefant 39, 2021)