Cover: Irène Cohen-Janca : Die letzte Reise – Janusz Korczak und seine Kinder
Die letzte Reise – Janusz Korczak und seine Kinder
Aus dem Französischen von Edmund Jacoby
72 Seiten
ab 10 Jahren
€ 16,95

Nach „Blumkas Tagebuch“ und „Fräulein Esthers letzte Vorstellung“ liegt nun ein Kinderbuch über Janusz Korczak vor, das inhaltlich und bezüglich des Lesealters als Bindeglied zwischen den vorherigen fungieren kann. „Die letzte Reise“ beginnt mit der Umsiedlung des Pädagogen, Arztes und Waisenhausleiters mit seinen knapp 200 Waisenkindern ins Warschauer Ghetto 1940. Danach zeigen sich anhand ständiger Umzüge innerhalb des Ghettos prozesshaft die stetig schlechter werdenden Lebensbedingungen der Kinder. Erzählt wird aus der Perspektive des fiktiven Waisenjungen Simon, der sich – wie alle „Großen“ – um einen „Kleineren“ kümmert, so dass Dialoge zwischen Simon und Mietek die tagebuchähnlichen Berichte Simons unterbrechen.

Irène Cohen-Janca gibt durch die berührenden, kindlichen Reflexionen dem Leser nicht nur einen Einblick in den Ghetto-Alltag, sondern auch in die pädagogischen Methoden Korczaks. Dabei beeindruckt besonders das Motiv der „anderen Seite“. Ist für Simon anfangs das Ghetto die „andere Seite“, so wird es schon bald die Welt draußen. Dort sind noch ein paar Lebensmittel zu ergattern, aber nur kleine, magere Jungen passen durch die Mauerlöcher …

Als „andere Seite“ dienen aber auch die Märchenwelten, in welche Pan Doktor die Kinder dank seiner Vorlese-Ausdauer immer wieder eintauchen lässt. Darin sieht sich Simon als biblischer Samson, der die Bösen einfach vergräbt. Und nicht zuletzt sind die Erinnerungen an das Leben im schönen weißen Haus, Krochmalna 92, als „andere Seite“ zu verstehen, nah und doch unerreichbar. Am Ende steht das Motiv für noch etwas ganz anderes – für das Jenseits.

Maurizio A.C. Quarello zeichnet mit Graphitstiften und lässt sich für seine Illustrationen u. a. von Fotografien inspirieren. Mit wenigen Farbtönen (weiß, schwarz, braun, gelb, grün) macht er sowohl Korczaks ausdrucksstarkes Gesicht in Momenten des Schmerzes und die triste Stimmung im Ghetto, aber auch die strahlenden Erinnerungen der Kinder an die Zeit vor dem Ghetto nacherlebbar. Die Farbwahl könnte sich an dem Lied orientiert haben, das zur Hymne des Waisenhauses wurde: „Weiße und Braune, Schwarze und Gelbe, lasst uns unsere Farben mischen! Wir sind alle Brüder und Schwestern (…)“. Als starkes Bildzeichen nutzt Quarello wiederholt Füße. Ob diese in Bewegung sind oder nur als Abdrücke sichtbar, symbolisieren sie für den Künstler offenbar neben dem ruhelosen Getriebensein auch die Spuren, die Korczak in der Pädagogik und mit seiner Entscheidung am 5. August 1942, die Kinder auf ihrer letzten Reise zu begleiten, im Menschheitsgedächtnis hinterlassen hat.

(Der Rote Elefant 33, 2015)