Unsichtbar in der großen Stadt
Illustration: Sydney Smith
Aus dem kanadischen Englisch von Bernadette Ott
48 Seiten
ab 4 Jahren
€ 18,00

Ein kleiner Junge sitzt in einem Bus und schaut durch die beschlagenen Scheiben. Was sieht er? Vier verschwommene Straßenansichten innerhalb einer winterlichen Großstadt. Zuerst erzählen die Bilder ohne Text, wie er aussteigt, eine gefährliche Straße überquert, was er sieht und hört. An wen sich später seine knappen Worte richten, bleibt offen, aber die nächsten Bilder machen deutlich: Er kennt sich aus, weiß, wo Gefahren lauern, kennt Abkürzungen und Verstecke, einen Platz zum Aufwärmen und das Fischgeschäft mit dem freundlichen Händler. Den Satz des Kindes „Es ist die Hölle, manchmal ist mein Kopf einfach zu voll“ begleitet eine ganzseitige Illustration, in der das Kind wie in einem Spiegelkabinett als Figur vielfach gebrochen erscheint, sodass sich hautnah vermittelt, wie verloren und klein es sich in diesem Chaos fühlt (Original: „Small in the City“). Als er beginnt, rosa Zettel mit der Aufschrift „Vermisst“ an Laternenpfosten zu kleben, fügen sich die Textstücke zu einer möglichen Geschichte. Ein „Ich weiß, du findest dich zurecht“ tröstet am Ende nicht nur die vermisste Katze, sondern auch ihn, der von der Mutter zu Hause in die Arme geschlossen wird.

Sydney Smith erzählt diese berührende Geschichte nicht wirklich zu Ende, sondern lädt dazu ein, Fährten zu verfolgen und neue Lesarten zu entdecken. Mit wenig Text, Pinsel, Tusche und Aquarellfarben macht er auf überwältigende Weise Nässe, Kälte und Großstadtlärm, aber auch so elementare Gefühle wie Verlorenheit und Geborgensein spürbar. Dafür nutzt er Mittel des Films wie schnelle Perspektivwechsel oder Heranzoomen kleiner Bildausschnitte, aber auch Frontalansichten. Aufmerksamkeitspunkte setzt er mittels gezielter Farbtupfer innerhalb des winterlichen Grau, Weiß und Schwarz, wobei die rote Bommel an der Mütze des Jungen überaus hilfreich wirkt, ihn in den Häuserschluchten überhaupt zu finden. Zu Recht wurde der kanadische Künstler, in der Heimat bereits vielfach gepriesen, mit vorliegendem Buch zum zweiten Mal für den DJLP nominiert, wobei er zum ersten Mal Bild und Text verantwortet. (siehe Stadt am Meer und Überall Blumen). Auch steht er auf der Auswahlliste für die Hans-Christian-Andersen-Medaille.

Der sinnlichen Erzählweise des Buches entsprechend könnte eine Collage mit Großstadtgeräuschen auf das Thema des Buches vorbereiten, wobei Kinder parallel zum Gehörten passende Symbole (er)finden und in eigene Leporellos zeichnen. Als Kreis formiert, könnten alle Leporellos die Kinder umschließen und somit im Vorfeld ein Gefühl des Bilderbuchhelden andeuten, um darauf aufbauend mehr über ihn zu erfahren.

(Der Rote Elefant 39, 2021)

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