In „Der Schneeleopard“ erzählt Verena Hochleitner von kindlicher Imaginationsfähigkeit, die sich aus Realitätssplittern speist und somit zwischen Fantasie- und Realitätswelt springt. Ort des Geschehens ist ein Park, wo Maresa mit Papa kürzlich einen Schneemann gebaut hat. Nun kommt der Frühling und die Menschen aus der Stadt strömen ins Grüne. Während Papa auf einer Bank sitzt, entdeckt Maresa hinter einer Hecke einen Schneeleoparden mit Zylinder. Bald darauf hat dieser einen Reifen in der Pfote. Klar, da ist eine Zirkusvorstellung geplant. Papa, der nur am Handy hängt, bekommt davon gar nichts mit. Auch nicht, als Maresa dem Leoparden beisteht: beim Balancieren, Purzelbaum-Schlagen, Handstand, Turmbau … Getroffen von einem Ball stürzt Maresa beinahe ab, aber der Leopard fängt sie sicher auf. Atemberaubend! Schade, dass Papa nicht dabei war. Der sieht nur, dass Maresa Schuh und Mütze fehlen. Die Suche führt hinter die Hecke. Dort steht ein Schneemann mit dem Zylinder auf dem Kopf und an einem Baum hängt die Vermisstenanzeige einer Katze. Merkwürdig! Gut, dass Papa auf dem Weg nach Hause etwas über die vermisste Katze weiß …

Konzeptionell vermittelt Hochleitner Realitätswahrnehmungen und Fantasien des kleinen Mädchens über gegenläufige Text-Bild-Erzählungen. Spricht Maresa z. B. zu Papa von einer großen Katze, zeigt das Bild einen schlafenden Schneeleoparden. Kurze kommentierende Sätze erhellen Maresas Innenwelt. Etwa wenn sie mit dem Leoparden auf einem Baum hängt und der Text sagt: „Doch wo bleibt nur Papa?“. Im Gegensatz dazu finden die Dialoge mit Papa in Comicblasen statt. Aber die Illustratorin trennt Realität und magische Welt auch innerhalb der Illustrationen und verwendet verschiedene Handwerkszeuge (Zeichenstift, Pinsel): „Vor“ der Hecke sitzt der telefonierende Papa, wobei er, in Panels aufgereiht, gestisch und mimisch als freundlich charakterisiert ist. „Hinter“ der Hecke geht es – „Zirkus“-Fantasien angemessen – dynamischer und farbintensiver zu.

Für Kinder bietet das  ideenreich, humorvoll und differenziert gestaltete Bilderbuch viele Impulse für Entdeckungen, Assoziationen und Gespräche. Zum einen wäre zu fragen, was im Park wirklich bzw. nur in Maresas Fantasie passiert und ob beides miteinander zu tun hat? Aber das Buch ist auch als Suchbilderbuch zu nutzen, denn außer Maresa sind noch weitere Besucher – freigestellt auf zwei Doppelseiten am Anfang und Ende des Buches – im Park unterwegs. Alle tauchen im Laufe der Handlung wieder auf … Auch deren Parkerlebnisse wären zu verfolgen.

(Der Rote Elefant 39, 2021)