Lahme Ente lebt allein und gefahrlos auf einem verlassenen Hinterhof. Eines Tages taucht ein blindes, unternehmungslustiges Huhn auf. Während beide sich der Vorteile ihrer Handicaps versichern, überredet das Huhn die Ente zu einer Reise. Ziel: ein Ort, „an dem der geheimste Wunsch in Erfüllung geht“ – „irgendwo in der Welt“. Unterwegs wird es abenteuerlich und beschwerlich. Nach staubiger Landstraße folgen ein dunkler Wald, eine tiefe Schlucht und ein steiler Berg. Mal führt die Ente das Huhn, mal trägt das Huhn die Ente. Missglücke und Zank bleiben nicht aus, ebenso wenig Fürsorge, Offenbarungen und Fröhlichkeit. Am Ziel, einem märchenhaften Tor, bemerkt Huhn, dass Ente die Reise nur vorgetäuscht hat. Gehen sie also enttäuscht und niedergeschlagen auseinander? Weit gefehlt! Sind sie doch, längst verändert, genau da angekommen, wo ihre eigentlichen, uneingestandenen Wünsche lagen …
Seiner szenisch arrangierten, gleichnishaften Erzählung über Verschiedenheit, Annäherung, Liebhaben und – nicht zuletzt – die Wirkkraft von Fantasie stellte der erfolgreich Theaterstücke und Kinderbücher schreibende Autor das doppelbödige Motto „Das Ziel ist im Weg“ voran. Doppelbödigkeit durchzieht Hubs mehrdeutige Geschichte und humorvolle Erzählweise im Ganzen. Der Plot führt vordergründig Kennenlernen und Reiseerlebnisse des ungleichen, tierisch-menschlichen Protagonisten-Paares vor, lässt aber ahnen, dass alles anders ausgehen könnte, als angepeilt. Die mit alltäglichen Floskeln und Redewendungen hintergründig spielenden Erzählerpassagen und durchweg pointiert ausgefeilten Wortgefechte zwischen Ente und Huhn vertiefen noch die Wirkung, dass junge wie ältere Menschen auf ebenso lese- wie nachdenk-vergnügliche Kosten kommen.
Dem Verlag ist für eine großzügige und abwechslungsreiche Schrift- und Seitengestaltung zu danken, die zugleich einen Teil der Leistung des Illustrators ausmacht. Mühles Bilder zu den (erfundenen) Reisestationen deuten mit breiten Pinselstrichen und augenfälligen Farbschattierungen Umgebungen an. Vornehmlich konzentriert er sich jedoch auf die Protagonisten und deren vermeintliche Handicaps, ausgestattet mit Krückstock bzw. schwarzen Augengläsern.
In cartoonartigem Stil treten sie einzeln oder zusammen auf fast jeder Seite auf, wobei Körperhaltungen, Schnäbel und Blicke ungemein lebendig anmuten.
Mittels einer kleinen Galerie kopierter Porträt-Zeichnungen ließen sich bereits vor der Lektüre Charakteristika, Gefühlschaos und Beziehungsgeflecht zwischen lahmer Ente und blindem Huhn ausmachen. Und was könnten deren (geheime) Wünsche sein?
(Der Rote Elefant 40, 2022)