Als ich die Pflaumen des Riesen klaute
Illustration: Regina Kehn
Aus dem Schwedischen von Birgitta Kicherer
93 Seiten
ab 9 Jahren
€ 16,00

Mit der Parole „Mut“ wagen sich Ulf und Bernt in die Nähe des „Riesen“ Oskarsson, um sich richtig zu gruseln. Ungefährlich wirkt Oskarsson nur, wenn er „wie hypnotisiert“ dem Klavierspiel von Ulfs Mama lauscht. Schlauberger Bernt, der alles weiß, weil seine Eltern Lehrer sind und 750 Bücher besitzen, weiß auch, wie Hypnose funktioniert, dass „Einsamkeit wütend macht“ und was die Drohung „jetzt blüht dir was“ bedeutet. Oder sagte der Riese „jetzt blüht hier was“? Ulf, 3 Jahre, 5 Monate und 13 Tage mit Bernt befreundet, fühlt sich neben Bernt oft „dumm“. Aber wenigstens pinkelt er sich nicht in die Hose „wenn‘s spannend wird“. Leider posaunt Ulfs Bruder dieses nur Ulf anvertraute Geheimnis in die Welt. Vorbei mit der Freundschaft! Außer: Ulf klaut für Bernt Pflaumen aus Oskarssons Garten … Aber nicht deshalb wütet der Riese, sondern weil Ulfs Mama nicht mehr Klavier spielt. Sie ist traurig, weil ein Sturm ihre Rückzugshütte zerstörte. Vielleicht hilft Hypnose …

Das letzte Buch des 2017 verstorbenen Ulf Stark ist eine Art zeitloses und altersoffenes Vermächtnis. In einem Interview bekannte Stark, dass er alle „Ulfs“ sei (z. B. „Kannst Du pfeifen, Johanna“, DJLP 1993) und: Er schreibe so gern Kinderbücher, weil er mittels seines semi-autobiographischen kindlichen Ich-Erzählers ernste Fragen ansprechen könne, ohne zu „tiefsinnig“ zu werden.

Alle Aussagen löst vorliegende Erzählung ein. Ernst im Gehalt bei komisch-humorvoll-naiver Erzählhaltung fragt der Text nach „Einsamkeit“: Ulfs Mutter, die „in der Familie alles macht“, braucht Einsamkeit um aufzutanken; der „Riese“ braucht Angebote von außen, um Einsamkeit zu entkommen und Ulf ist ohne Bernt so einsam, dass er alles tut, um den Freund zurückzugewinnen. Letzteres bindet kindliche  Leser*innen dicht an den Text. Erwachsenen vermittelt sich als melancholischer Subtext, dass Lebens-Sehnsüchte endlich sind. Das gilt für Ulfs Mutter ebenso  wie für Oskarsson, der sich als Klavierschüler nicht mehr als Gruselobjekt eignet. Da für Kinder Lebenszeit (noch) unendlich erscheint, kann Kinderbuch-Ulf zuletzt sagen: „Komm, machen wir was anderes!“ Sein Schöpfer kann das nicht mehr, seine „Ulfs“ schon, solange sie gelesen werden.

Die Anregung zum Lesen des Buches könnte bei „Freundschaft“, „Verrat“ und „Mutprobe“ ansetzen. Dazu eignen sich ausgewählte Illustrationen und Lesestellen, welche die Figuren einführen, die anfangs enge Freundschaft thematisieren und das „Pflaumenklauen“ anreißen. Als Kontrast fungierte dann das rot-lila Cover. Darauf flieht ein Junge, eine Tüte Pflaumen an sich pressend, aus einem Garten. Hinter ihm ein riesiger, „roter“ Schatten! Was könnte passiert sein?

(Der Rote Elefant 38, 2020)