Als Kind hörte der polnische Illustrator Tomek Bogacki von Janusz K., den er nie mehr vergessen konnte. Sein großformatiges Bilderbuch über dessen Leben soll dazu beitragen, dass dies heutigen Kindern ebenso geht. Damit greift er zugleich eine Idee Korczaks auf: 1938 schrieb dieser ein biografisches Kinderbuch über Louis Pasteur, um „Kindern ein Beispiel zu geben durch das Vorstellen beispielhafter Frauen und Männer“. Aber Bogacki wendet sich nicht nur an Kinder. Romane, Essays und kinderpsychologische Abhandlungen des polnischen Arztes und Pädagogen sind heutigen Eltern, Erziehern und Lehrern nahezu unbekannt. Dabei waren sie grundlegend für die UN-Deklaration der „Charta der Rechte des Kindes“ von 1959 und bereicherten bis in die 70er Jahre reformpädagogische Diskussionen (nicht nur) in der Bundesrepublik. Korczaks Werk, eine Symbiose aus wissenschaftlichen Ansichten, praktischer Erfahrung und liebevoller Beobachtung kindlichen Handelns, zielte auf frühe Selbstbestimmung, etwa durch Kinderparlamente und -gerichte.

Als Korczak, die eigene Rettung ausschlagend, mit 200 jüdischen Waisenkindern aus dem Warschauer Getto ins Vernichtungslager Treblinka ging, bewies er Mut, Moral und Mensch-lichkeit, wurde er zum Symbol eines wahrhaften Getreuen der  Kinder.

Dem Text verleiht Bogacki einen berichtenden, unpathetischen Ton, der dennoch Hoch-achtung für Korczak ausstrahlt. Die stark emotional wirkenden Illustrationen haben dagegen etwas Altmeisterliches, werden aber modern angereichert. Comictypische Bild“blasen“ drücken Korczaks Gedankenwelt aus. So nutzt Bogacki rezeptionspsychologisch klug heutige Sehgewohnheiten, um Vergangenes neu zu erzählen. In die Stadtlandschaft Warschaus fügt er Szenen aus dem Leben des jungen Henryk Goldszmit (d.i. Janusz Korczak) ein: der 5jährige darf als Jude sein Meerschweinchen nicht im Hof begraben, der 11jährige beobachtet bettelnde Kinder und träumt davon, als „König Hänschen“ eine gerechte Welt zu gestalten. Mit weichen Kreide- und Buntstiftstrichen verleiht Bogacki Figuren und Kulissen ver-schwommene Konturen, lässt sie auftauchen wie Erinnerungen aus dunkler Zeit, unterstützt durch entsprechende Farbgebung. Dramatischer Höhepunkt ist die Doppelseite vom Marsch in den Tod. Der alte Korczak trägt einen winzig kleinen Jungen. Die hinter ihm schreitenden Kinder strahlen Ruhe und Zuversicht aus: der, dem sie vertrauen, ist mit ihnen. Das Grauen, das folgt, hat keine Bilder. Somit verlangt das Buch einen wissenden (Vor-)Leser. Bemerkenswert sind Vor- und Nachsatz mit Warschaus Stadtkulisse: vor dem Zweiten Welt-krieg in voller (Farben-)Pracht, danach (in grauen Tönen) völlig zerstört. Die Zeichnungen erinnern an Veduten-Bilder (topografisch genaue Stadt-Panoramen aus der Zeit vor der Fotografie). Sie rahmen diese bildkünstlerische Dokumentation über das Leben eines außergewöhnlichen Menschen, der die Einheit von Gedachtem, Gesagtem, Geschriebenem und Gelebtem verkörperte. Das Wort „Held“ könnte  im Zusammenhang mit diesem Bilder-buch erneut überdacht werden.

(Der Rote Elefant 29, 2011)