Mama, Papa, wie habt ihr euch kennengelernt?
Illustration: Stéphanie Marchal
Aus dem Französischen von Andreas Illmann
32 Seiten
ab 4 Jahren
€ 16,00

„Noch mal, bitte, Papa!“ wünscht Sophia. Also erzählt Papa von dem Sonntag, an dem er und Mama einander kennenlernten. Damals lief ein Fußgänger bei Rot über die Straße, Papa wich aus und fuhr mit dem Auto gegen eine Mauer. „Ach ja – und als Mama dann am Steuer des Abschleppwagens angefahren kam, hast du dich sofort in sie verliebt“, wirft Sophia ein und beschließt, ein Bild für den Fußgänger zu malen, um sich zu bedanken. „Denn ohne ihn wäre der Unfall nicht passiert … Und ich? Ich wäre gar nicht auf der Welt!“ Auch der Mauer will Sophia mit einem Bild danken, ebenso wie Mamas Kollegin. Wäre die damals nicht krank gewesen, hätte Mama nicht für sie einspringen und den Abschleppwagen fahren können, Mama und Papa wären sich nicht begegnet, Sophia hätte es nie gegeben … Doch wer hat eigentlich den Abschleppwagen erfunden?

Thierry Lenain lässt die Figuren – Kind, Vater, Mutter – im unmittelbaren Gespräch die Geschichte der Familie rekapitulieren. Die etwa 6-jährige Sophia ist dabei die Impulsgeberin (Sprecherwechsel sind durch Anstriche verdeutlicht). Dass die Geschichte zum wiederholten Mal erzählt werden muss, unterstreicht die Wichtigkeit, die sie für das Kind besitzt. „Woher komme ich?“, „Wie hängen die Dinge zusammen?“, „Wo ist mein Platz in dieser Welt?“ sind existentielle Fragen, auf die Kinder in Sophies Alter beginnen, Antworten zu suchen. Sophia wird das Wunderbare des eigenen Da-Seins zunehmend bewusst. Schließlich ist dieses nur eine Verkettung zahlreicher, glücklicher Zufälle, die Sophia im Zusammenhang von Ursache und Wirkung („wenn – dann“)  aneinanderreiht. Kindlich-naive Logik lässt diese gedanklichen Verknüpfungen bis hin zur „Erfindung“ der USA reichen.

Stéphanie Marchals detailreiche, doppelseitige Illustrationen in karikaturhaftem Kritzelstil erinnern an Kinderzeichnungen: Proportionen sind verschoben, Bedeutsames, wie z. B. der Schlüssel für den Abschleppwagen, wird groß ins Bild gesetzt. Überdies zeigen die Bilder eine Familie, in der Papa fürs Kaffeekochen und die Pflege der Zimmerpflanzen zuständig ist, während Mama die technischen Dinge meistert.

Nicht nur diese im Text nicht erwähnten Details fügen der Geschichte wichtige Bedeutungsebenen hinzu. Freiheit im Denken und Handeln werden auch bei Sophias künstlerischen Dankesplänen deutlich, die u. a. auf Mauer, Fußgängerüberweg oder Laken umgesetzt werden. Lässt man diese Illustrationen bei einer Buchvorstellung weg, könnten Kinder in Sophias Rolle  schlüpfen und kreative Dankesgrüße selbst gestalten. Übrigens: Wer genau hinsieht, entdeckt in den Bildern eine zweite Liebes- und Familiengründungsgeschichte.

(Der Rote Elefant 38, 2020)

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