„Hast du was gehört von der b?“
„Wieso gehört? Was ist denn passiert, ist was passiert?“
„Auf der Klassenfahrt.“
„Ich habe gehört, dass die jetzt alle verwarnt sind.“

Die Gerüchteküche innerhalb der Schülerschaft brodelt. Besagte Abschlussfahrt der 10b war von Dr. Utz betont deutlich als „Studienfahrt“ angekündigt worden, mit vorzubereitenden Referaten, zu halten an „sehenswerten“ Orten. Überdies galten strenge Regeln, bei deren Zuwiderhandlung der Abbruch der Reise erfolgen würde. Und dann ereignet sich etwas, was auch die Schüler*innen überrascht. Das Vorkommnis veranlasst Utz schon vor Rückkehr der Klasse, die Eltern per E-Mail nachdrücklich zu einer Versammlung zu laden.

Tamara Bach geht es in ihrem neuen Jugendbuch – anders als in früheren Texten – weniger um die individualpsychologische Auslotung ihrer Figuren als mehr um gruppendynamische Prozesse. Aufgrund des Erzähleinstiegs „Gerüchteküche“ und des vertrauten Schauplatzes Schule werden Leser*innen wissen wollen, was denn nun wirklich mit der 10b los war. Gewohnt experimentierfreudig erzeugt Bach mittels mehrerer Erzählperspektiven und Textsorten eine Art Sog, der Leser*innen die sich stetig steigernde Anspannung und Bedrückung während der Reise nachempfinden lässt, sodass der Konflikt zwischen autoritär agierendem Lehrer und sich immer mehr verweigernder Klasse offenbar wird. Dazu nutzt Bach für die Reiserekonstruktion anfangs von Einzelnen nacheinander verfasste Fahrtprotokolle, gefordert von Utz, worin neben Fakten der gelangweilte Ton und Kommentare auffallen, die von der Berichtsform abweichen. Etwa: „ES GIBT ENDLICH ESSEN!“, im Text wirkungsästhetisch kursiv oder in Großbuchstaben gesetzt. Die lästige Protokollpflicht übernimmt schließlich Schüler Ole. Oles Texte sprengen ebenfalls die Berichtsform. Mit ihren persönlichen Reflexionen erhalten sie eher den Charakter eines Tagebuchs. Da über das überraschende Ereignis niemand berichten kann bzw. will, lässt die Autorin eine Erzählinstanz das Geschehen verständnisvoll von außen betrachten. Diese wechselt fast unmerklich wieder zu Ole, der jedoch diesmal in der Wir-Form weitererzählt. Sozialpsychologisch vermittelt die Autorin auf diese Weise, dass Utz – unbeabsichtigt – mit seinem Misstrauen und Gezeter dazu beiträgt, dass sich die Schüler und  Schülerinnen zunehmend als Gruppe empfinden und handeln. Ihre Solidarität kommt besonders in Bezug auf Utz‘ Handyverbot zum Ausdruck, das für eine Schülerin in Bezug auf Familienereignisse eine Katastrophe bedeutet.

Dem Spannungsbogen der Geschichte, welche die Autorin in einem Interview als „Liebesbrief an die junge Generation“ bezeichnet, arbeiten die im Text geschwärzten Namen und Orte zu. Warum soll was geheim bleiben? Hat dieses Verfahren mit dem Titel „Sankt Irgendwas“ irgendwas zu tun?

(Der Rote Elefant 39, 2021)