Mein kleiner Horrortrip
Die kürzesten Schockgeschichten aller Zeiten
Aus dem Englischen von Karsteln Singelmann
Herausgegeben von Susan Rich
155 Seiten
ab 11 Jahren
€ 14,95
Schlagwörter: Grusel, Horror, Sammelband

Inmitten redundanter Mainstream-Wälzer erscheint ein Horror-Trip-Bändchen mit 155 Seiten – nicht viel größer als eine Postkarte – wie ein Kampf „David gegen Goliath“! Nichts desto trotz stehen hier 71 Angebote – jeweils auf max. 1,5 großzügig layouteten Seiten – selbstbewusst nebeneinander: Texte, Comics, Bilderrätsel, gereimte und ungereimte Gedichte, Text-Bild-Assoziationen … Käufer- bzw. Leser*innen, die sich vom durchdringenden Auge(n-Blick), eingelassen ins ausgestanzte Cover, bannen lassen, erwartet ein Trip der besonderen literarischen Art mit Schatten, Schaudern und Schuld als zentralen Motiven. Mühelos zu lesen, aber mit reichlich Raum zum (Nach)Denken. Da Ängste nicht altersgebunden sind, bevölkern Protagonisten jeden Alters, sprechende Tiere, vermenschlichte Gegenstände, (Un)Tote und Geister die Seiten. Das Schauerliche wohnt in den Figuren selbst oder sucht sie von außen heim. Fliegende Schnurrbärte starten ihren Angriff auf pubertierende Internatsschüler und verlassen diese erst wieder nach deren Tod (Pseudonymus Bosch), eine „Puppe“ (Alice Kuipers) mit Nadel im Bauch steht für die Aggression der Stiefmutter gegen die Stieftochter (oder umgekehrt?), „Die Legende von Alexandra und Rose“ (Jon Klassen) liefert auf einer Bildseite die todsichere Anleitung zur Schwesternentsorgung … Ob es für die Leser ein Horrortrip wird, so dass sich das „mein“ im Titel einlöst, hängt wohl von der Interpretation der Einzeltrips ab. Der Titel könnte aber mit „mein“ auch die Ichs der namhaften amerikanischen und kanadischen Autoren meinen, welche sich von Herausgeberin Susan Rich zu einer Kurzreise in die eigenen seelischen Abgründe animieren ließen und offensichtlich großes Vergnügen an diesem Auftrag fanden: bis auf zwei Beiträge (Selznick: Eintausend Gesichter; Gaiman: Der Schatten) sind alle anderen originärer Art. Als offensichtliche Kenner des Genres zitieren oder adaptieren sie z. T. deren Großmeister (Shelley, Hoffmann, Poe, Wilde, James), spielen auf ironische Weise mit genretypischen Versatzstücken, sind Könner des schwarzen Humors. Nicht alle Texte sind von gleicher Qualität, aber Kürze, Vielfalt und Altersoffenheit machen das Büchlein breit einsetzbar: als Vorlese-Horror-Häppchen am Ende einer Deutschstunde, als Vorleseübungen, als Vorlagen für Bildgeschichten oder umgekehrt: die Comics selbst dienen als Vorlage für auszuformulierende Texte. Da viele bekannte Jugendbuchautoren vertreten sind, deren Bücher auf dem deutschen Buchmarkt vorliegen (Gaiman, Weeks, Oates, Stine) könnten die Shortstories zum Neugierigmachen dienen, z. B. Spinellis „Huhn oder Ei“ als Einstieg in „Chicken Dance“.

(Der Rote Elefant 30, 2012)