Sie sind engste Freunde, aufgewachsen wie Geschwister, unzertrennlich: Stella und Adrian, genannt Einsneunzig. Adrians Familie befürchtet, Adrian könne weiter wachsen und verordnet Hormontherapien. Stella dagegen stören die 1,94 überhaupt nicht und sie reißt wunderbare Witze darüber, die Adrian entlasten. Seit kurzem beobachten beide unheimliche Vorgänge im Haus gegenüber, wo eine georgische Flüchtlingsfamilie einzieht. Doch Adrian beschäftigt anderes mehr. Er hat sich in Stella verliebt, aber diese in Dato, einen georgischen Neuankömmling. Der Schock darüber lässt den 14-jährigen Adrian erstarren, bevor ihn Enttäuschung, Verzweiflung, Trauer, Machtlosigkeit und Wut ob des „Verrats“ übermannen. Absichtlich beleidigt und kränkt er die Menschen, die ihm bisher wichtig waren, wie z. B. Miss Elderly, Stellas lebenskluge, kauzige Großmutter, eine enge Vertraute seit Kindertagen. Miss Elderly erspürt Adrians Schmerz, erzählt zutiefst ehrlich von ihrem einstigen (Liebes-)kummer und weiß „… dass man durch den Schmerz durchgehen muss. Die Wege außen herum, die zählen nicht … Man muss durch die Dunkelheit durchgehen. Ganz.“
Susan Krellers Roman schildert Adrians Weg durch diese Dunkelheit. An dessen Ende, gleichzeitig am Ende des Winters, spricht Stella dem Freund ihre „Hochachtung“ aus. Diese hat mit den unheimlichen Vorgängen im Haus gegenüber zu tun.
Kreller entwirft das brüchige Selbstbild eines Jungen, der eine schwere Krise durch- und fast nicht überlebt. Ihre poetisch-dichte Erzählweise schafft eine große Nähe zum Erleben ihres sensiblen Protagonisten. Dabei überraschen Vergleiche und Sprachbilder, z. B. gleich zu Anfang, wenn Adrian dem Leser Stellas Augen vorstellt und dabei sehr viel über sich selbst erzählt. Auffällig sind die Verweise auf Andersens „ Schneekönigin“. Adrian zitiert daraus oder erinnert sich daran, wie Miss Elderly ihm und Stella das Märchen auf der die Wohnungen verbindenden Terrasse vorlas. Auch Kay und Gerda hatten so eine Brücke zueinander: die Blumenkästen über der Regenrinne. Wie bei Andersen symbolisieren auch im „Schneeriesen“ Kälte, Frost und Schnee einen seelischen Zustand. Doch im Gegensatz zu Kay kann Adrian Erlösung nur durch und in sich selbst finden. Spät, aber nicht zu spät, erkennt er, dass er dabei nie allein war, ihm Stärkung und Wärme zu Teil wurden (darunter auch durch Datos Mutter und Großvater) und lernt diese Anteilnahme zu schätzen. Ganz am Ende, gleichzeitig ein neuer Anfang, ist zwar sein Körper wieder gewachsen, aber nicht nur der.
(Der Rote Elefant 33, 2015)