Garman ist sechs und kommt bald in die Schule. Obwohl er ein bisschen zu lächeln versucht, sieht er doch auf dem Cover etwas bemitleidenswert aus, mit seinem Stoppelschnitt, den nachdenklichen, fast traurigen Augen, den dünnen Ärmchen und dem Heftpflaster auf den Rippen. Wie wir später erfahren, fühlt er sich auch so. Es wird der letzte, schier endlose Sommer dieser Art sein. Mit dem Status als Schulkind wird sich etwas verändern, Garman weiß nur noch nicht genau was. Dass in Garmans Kopf einiges vorgeht, hat auch mit den drei alten Tanten zu tun, die wie jedes Jahr im Spätsommer zu Besuch kommen. Er beobachtet sie vom Pflaumenbaum aus, nimmt alles wörtlich, was sie sagen, und scheut sich nicht direkt zu fragen: „Wirst du bald sterben, Tante Borghild?“
In seiner Phantasie nimmt alles bildhafte Gestalt an und – so hat man das Gefühl – der Autor und Illustrator Hole macht sich einen Spaß daraus, immer noch eins draufzusetzen. Äußere Ereignisse gibt es ja auch nicht viele, dort hinten am norwegischen Fjord. Die Welt ist im Kopf.
Jede Seite oder manchmal auch Doppelseite erzählt immer eine ganze Geschichte. Die kann nah an der Realität sein (die schlafende Tante), phantastische Kapriolen schlagen (die Tante auf dem Skateboard hoch über den Häusern) oder surrealistische Züge annehmen (die Tanten in der Wiese, die Mutter im Garten wie Alice im Wunderland). Die gemalten, collagierten, mit Photoshop komponierten Bilder sind voller überraschender Details und spielen mit Motiven der Kunstgeschichte. So wirken ornamentale Blumenbilder wie Kupferstiche von Sibylle Merian oder ein Kinderzimmer wie ein Bild von Edward Hopper. Wer fährt alles mit im Bus der Musiker? Elvis Presley, klar, aber wer noch? Norwegen ist ebenfalls recht präsent, nicht nur in den Kinderkrakeln „Ole hat einen Kuchen“.
Ein Buch zum Staunen und zum Darüberreden mit Kindern: über alles, was schön ist, und auch über alles, was Angst macht.
(Der Rote Elefant 27, 2009)