Heute ist Jarons dritter Geburtstag. Sein größter Wunsch ist, dass seine große Schwester aus dem Tagebuch vorliest, das sie vor drei Jahren geführt hat. Zehn Tage hielt sie darin fest, zehn Tage voll Sehnsucht nach ihrem neugeborenen Bruder. Damals war ihre Mutter für die Geburt von der Insel aufs Festland gefahren. Zusammen mit dem Vater pflanzte Mara einen Apfelbaum neben ihrem eigenen – „acht Schritte Platz muss zwischen den Bäumen frei bleiben. Platz zum Wachsen“. Mara versank in den Vorbereitungen für Jarons Empfang, sie malte, strickte eine Decke und gestaltete Begrüßungsgeschenke aus Naturmaterialen und Fundstücken aus ihrer Umgebung. – Und dann war Jaron endlich da. Mara genoss den Augenblick der Nähe, die erste zarte Begegnung, die Wärme und spürte die in ihr aufsteigende Liebe.
Sonja Danowski legt erneut ein poetisches, zeitloses Bilderbuch vor (vgl. Smon Smon, Nachts im Traum, Die kleine Nachtkatze). Die Illustrationen fangen die Kargheit nordischer Länder mit Wasserfarben in vornehmlich roten und blauen gedämpften Naturtönen ein. Danowskis einzigartiger, filigraner Stil birgt eine berührende Nostalgie und fokussiert darauf, die Schönheit der Welt einzufangen. Jedes Detail (Haare, Wolle, Kleidung) ist so fein gezeichnet und Flächen sind so zart koloriert, dass vorstellbar wird, wie sich die Dinge anfühlen. Danowski gelingt es meisterhaft, durch punktuell gesetzte Helligkeit oder Schatten auf Gesichtern oder Flächen das indirekte Licht einzufangen. Damit erzeugt die Illustratorin in den großformatigen, seitenfüllenden Bildern eine Kühle und Ruhe, die wie ein Filter über der Geschichte liegt und Maras Welt abschirmt. So entsteht ein Kontrast zur inneren Ungeduld und Vorfreude der sich in ihren Tagebuchtexten empfindungsvoll äußernden Mara. Das Mädchen, bei Jarons Geburt acht Jahre alt, wirkt freundlich, aber nicht ausgelassen fröhlich. Sie ist nachdenklich und fürsorglich, agiert bedacht und wirkt dabei geerdet in ihrer Umgebung – in der Natur, mit ihren Tieren und in ihrem Haus.
Durch die Komposition von dialogischem Rahmentext, Maras Tagebucheinträgen und dem Zusammenspiel der kindlichen Tagebuchillustrationen mit den gemäldeartigen Bildern ist eine ruhevolle, leise und einfühlsame Erzählung über die Heimat von Mara und Jaron, ihre Geschwisterliebe und tiefe Verbindung zueinander entstanden. Wie ungewöhnlich in der aktuellen Kinderliteratur, dass die Geburt eines Geschwisterkindes so harmonisch und angstfrei dargestellt wird!
Das Buch regt an, mit Vor- oder Grundschulkindern darüber nachzudenken, wessen Ankunft sie schon einmal mit Sehnsucht und Vorfreude erwartet haben und wie sie die Zeit bis zur Begegnung mit diesem Menschen gefüllt haben. Das Erkunden von Gegenständen aus dem Buch wie Schafswolle und Stricknadeln, könnte zur Geschichte von Jaron und Mara und ihren Willkommensgeschenken überleiten. Was würden die Kinder ihren Geschwistern schenken?
