Máttaráhkkás weite Reise
Eine Erzählung aus dem Samenland
Illustration: Sissel Horndal
Aus dem Norwegischen von Elisabeth Berg
32 Seiten
ab 5 Jahren
€ 18,50

„Die Mücke merkte es als Erste“ und „sirrte es hinaus. Aber nur der Bär hörte zu. ‚Aha‘ , nickte er und schnupperte in die Luft. ,So ist es also‘“. Fällt leise ein Blatt, wissen auch die Vögel was „ist“. Der Vogelzug wiederum „erzählt“ den Menschen: Der Winter naht und mit ihm Kälte und Dunkelheit. Dann blicken die Menschen dorthin, wo Licht ist, zu den Sternen. Das tut auch ein junges Paar. Es weiß, dass dort oben die Götter wohnen, die Leben hüten und auch hervorbringen. Für ein neues Wesen genügt der Atemzug eines Göttersohnes, egal ob für Tier- oder Menschenkind. Der Urvater bringt den Atem zur Sonne, die entzündet das Leben und die Urmutter Máttaráhkká bewacht dessen „weite Reise“ zur Erde. Diesmal ist ein Menschenkind unterwegs. Im Hause des Paares wispern die göttlichen Töchter davon und wachen dort bis zur Geburt. Im Frühling rundet sich der Bauch der Frau. „Bevor der Sommer um war, geschah es“.

Schnörkellos, poetisch dicht und mit Leerstellen, die es zu füllen gilt, erzählt Sissel Horndal einen samischen Mythos nach, der von enger Bindung an die Natur und polytheistischen Göttervorstellungen kündet. Um z. B. den Wechsel der Jahreszeiten früh zu „merken“, galt es, die Natur genau zu beobachten und auf sie zu „hören“. Das „kleinste“ Wesen, hier die Mücke, war somit dem „großen“ Menschen gleichwertig. Überdies wird von sozialer Gleichheit und Gleichberechtigung erzählt. Nur im gemeinsamen Tun von weiblichen und männlichen Göttern kann Neues geschaffen werden, das sich ausgehend von einem Impuls (Atemzug) nach und nach durch die Kompetenzen aller vervollkommnet.

„Aha, so war das also!“ dachte Sissel Horndal und verstetigte das von ihren samischen Vorfahren mündlich weitergegebene kulturelle Wissen in einem faszinierenden Bilderbuch. Angesiedelt im hohen Norden, spiegelt sich das Sehnsuchtsmotiv „Licht“ bildkünstlerisch in einem gekonnten Zusammenspiel von Hell und Dunkel wider. In den grau-schwarz-blau gepinselten Winterbildern schimmert das Licht nur leicht bläulich-grün im Hintergrund. Als das Leben zur Sonne gebracht wird, strahlt es dagegen hell durch den dunklen Himmel und weist als dünner Strahl dem Leben den Weg. Warme Ockertöne für den Sommer bilden einen klaren Bild-Kontrast zur weißen Winterkälte, Felsmassive mit Gesichter-Profilen symbolisieren mythische Vergangenheit, die realistische Mücke dagegen führt als Collage-Element direkt ins Heute. Angesichts des gefährdeten Zustands unserer Welt vermittelt Horndals ästhetisch überzeugendes Buch, dass wir alle als Teil dieser Welt Verantwortung tragen, mag die Aufgabe eines jeden auch noch so klein sein.

Am Anfang einer Buchvorstellung könnten Illustrationen von Mücke, Bär und Vögeln betrachtet werden. Wann und wo leben diese Tiere? Ergänzend würde der Anfang vorgelesen, wo noch nicht klar ist, was die drei eigentlich schon früh spüren. Was könnte ihr „Aha, so ist es also!“ meinen?

(Der Rote Elefant 38, 2020)