Die Kindheit der Bösen, der Fiesen und Gemeinen
Illustration: Benjamin Lacombe
Aus dem Französischen von Edmund Jacoby
64 Seiten
ab 8 Jahren
€ 29,00

Ein kleiner Wolf, der vernachlässigt wird, weil er der Schwächste ist. Das einäugige Kind eines Gottes, das wegen seiner Hässlichkeit in eine Höhle gesperrt wird. Eine junge Zauberin, die sich früh mit grausamen Menschen konfrontiert sieht. Oder eine hübsche Königstochter, die von ihrem Vater vergöttert wird und von ihm einen sprechenden Spiegel bekommt: Sie alle werden zu grausamen Erwachsenen und gehen als böse Berühmtheiten in die Literaturgeschichte und Popkultur ein.

Märchen und Mythen leben vom Konflikt zwischen Gut und Böse. Für das Verständnis und das Vergnügen an diesen teilweise sehr alten, archetypisch grundierten Geschichten sind psychologische Erklärungen, warum Figuren wie handeln, eigentlich unerheblich. Doch genau dieser Frage haben sich Sébastian Perez und Benjamin Lacombe in ihrem neusten Gemeinschaftswerk gewidmet – mit dem Hinweis, dass die „Bösen, Fiesen und Gemeinen“ meist die spannenderen Charaktere sind. Sie haben Bösewichte aus antiken Sagen, Märchen, Schauergeschichten und Filmadaptionen ausgewählt, um deren prägende Kindheiten zu beleuchten und fiktive biografische Gründe für ihre Bosheit anzubieten. Während Figuren wie Blaubart, die Herzkönigin, Dracula, Captain Hook oder Schneewittchens Stiefmutter Bekannte sein dürften, gibt es mit Yama-Uba, Njeddo Dewal und Baba Jaga auch unbekanntere Vertreterinnen. Mit der offensichtlichen Disney-Affinität des Buches, etwa mit der bösen Fee Maleficent (aus Disneys Dornröschen-Version) oder der Meerhexe Ursula (aus Arielle, die Meerjungfrau), bauen Perez und Lacombe auf den Wiedererkennungswert bei Kindern (und Erwachsenen).

Das beeindruckend großformatige Buch (29,2 cm x 31,8 cm) ist klar strukturiert: Der auf einer Seite relativ kurz gehaltenen Vorgeschichte einer Figur folgt eine vollformatige Einzel- oder Doppelseite, die Lacombe mit großer Freude an Komposition und Atmosphäre füllt.

Wenn Dracula und seine gruseligen Spielzeuge im spärlich beleuchteten Kinderzimmer den Betrachter direkt anschauen, wenn Lokis Kopf den hinter ihm stehenden Vollmond verdeckt, Jack O’Lantern in einem Feld grinsender Kürbisse steht, erzeugt das einen wohligen Schauer. Unterstützt wird dies durch die düstere Farbgebung und Motivwahl. Die im Kindchenschema dargestellten, teilweise traurig bis trotzig dreinblickenden zukünftigen Bösen lösen in Kombination mit dem Text auch Mitgefühl aus – wichtig für mögliche Diskussionen darüber, warum Menschen Böses tun. In einem Glossar wird kurz umrissen, für welche Gräueltaten die zuvor gezeigten Kinder später berühmt wurden. Auch wenn manche Vorgeschichten origineller und überzeugender als andere sind, bietet das Buch ein eindrucksvolles Kompendium an fiktiven Schurkinnen und Missetätern.

Trotz Lacombes manchmal den Kitsch streifenden Stils besitzen die Illustrationen großen Schauwert. Sie eignen sich hervorragend zur Rekapitulation bekannter Geschichten und zum Kennenlernen bisher unbekannter Fieslinge.

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