Hitlers Kanarienvogel
Eine fast wahre Geschichte
Illustration: Sandy Nightingale
Aus dem Englischen von Tanja Ohlsen
256 Seiten
ab 12 Jahren
€ 12,90

Nein, um ein Haustier des Diktators geht es hier nicht. Als „Hitlers Kanarienvogel“ bezeichneten die Briten Hitlers „Musterprotektorat“ Dänemark. Im Frühjahr 1940 besetzte Deutschland (trotz Nichtangriffspakt) das kleine, militärisch völlig unterlegene Land. Regierung und breite Teile der Bevölkerung glaubten, die Vorherrschaft des starken „Elefanten“ hinnehmen zu müssen. Als die Nazis jedoch 1943 ihre „Endlösung“ auch für die Juden in Dänemark durchsetzen wollten, verbündeten sich Angehörige aller Generationen und Schichten und leisteten Widerstand. Statt rund 8.000 dänischen Juden kamen ‚nur‘ 447 in deutsche Konzentrationslager. Zu Recht merkt Sandi Toksvig an, dass „die(se) Geschichte der Dänen“ wenig bekannt ist. Der vorliegende Text basiert auf Erzählungen von Toksvigs Vater über sich und seine Eltern. Der Untertitel verweist auf notwendige Ergänzungen.

Ihren fiktiven Protagonisten, den anfangs 11-jährigen Bamse, lässt Toksvig – verknüpft mit der ‚großen Geschichte‘- seine ‚kleine‘, persönliche Geschichte erzählen. Bamses Mutter ist die berühmteste Schauspielerin Dänemarks, der Vater ein hoch begabter Maler und Bühnen-bildner am Kopenhagener Theater, Bamses bester Freund der gleichaltrige, abenteuerlustige jüdische Junge Anton. Der Einmarsch der Deutschen zerstört das hyggelige (gemütliche) Leben der Familie. Bamses älterer Bruder Orlando schließt sich den „Bürgerlichen Partisanen“ an, der Vater will abwarten, die Schwester trifft sich mit einem deutschen Soldaten und Onkel Johann baut das Schalburg-Corps mit auf, eine dänische Naziorganisation. Bamse und Anton sind auf Orlandos Seite, führen dessen Aufträge und eigene kleine widerständische Aktionen aus. Im Verlauf wachsender Bedrohung für die jüdische Bevölkerung reift Bamse von einem eher ängstlichen zu einem mutigen, eigenständig denkenden und handelnden Jungen. Auch die Familie findet wieder zusammen und hilft trickreich Antons Familie sowie andere Juden zu verstecken bzw. organisiert die Flucht nach Schweden. Bamses Mutter, auch im realen Leben stets eine „Rolle“ spielend, mimt in entscheidender Situation so erstklassig, dass sie Leben rettet. Als Hommage an diese Frau erscheint die ungewöhnliche Struktur des Buches: wie ein Theaterstück gegliedert, ist es in Akte, Szenen, Epilog und Programmheft aufgeteilt. Zudem reichern Zitate großer Dichter den – auch – humorvollen, manchmal leider etwas holprig übersetzten Text an. Dänische Begriffe und Bleistiftzeichnungen vermitteln zusätzlich Authentizität und historisches Flair. Sie lassen sich gut nutzen, um auf das Buch neugierig zu machen. Dessen Botschaften in Sachen Toleranz und Zivilcourage jedenfalls sind von höchster Aktualität.

(Der Rote Elefant 25, 2007)