Cover: Sally Nicholis; Keiner kommt davon - eine Geschichte vom Überleben
Keiner kommt davon – Eine Geschichte vom Überleben
Aus dem Englischen von Beate Schäfer
288 Seiten
ab 12 Jahren
€ 14,90

Auch in ihrem dritten ins Deutsche übersetzten Roman umkreist die junge britische Autorin das Thema Tod und schildert menschliches Verhalten in existenziellen Situationen. Diesmal führt sie ihre Leser ins Jahr 1349. Die Pest erreicht das englische Dorf Ingleforn in der Nähe von York. Die 14-jährige Isabel erlebt, wie das gewohnte Leben aus den Fugen und sie in einen Strudel von Krankheit und Tod gerät. Isabel verliert ihre liebsten Menschen, beobachtet, wie Flüchtlingen Hilfe und Unterkunft verweigert wird, Priester Sterbende im Stich lassen. Da macht Isabel nicht mit! Sie hilft, wo sie kann, beweist Menschlichkeit, wenn andere versagen. Gemeinsam mit ihrem Freund Robin hält Isabel verzweifelt einen „normalen“ Tagesablauf aufrecht, versorgt ihre beiden jüngeren Geschwister und sucht, der bedrohlichen und bitteren Situation zum Trotz, nach einem Sinn im (Über)Leben.

Eindringlich und bewegend kündet dieser Roman von einer Zeit, die durch katastrophale Folgen der sich ausbreitenden Pest markiert ist. Wieder wählt Nicholls die Ich-Perspektive, aus der ihre Hauptfigur erzählt und erreicht eine hohe Authentizität, unter anderem durch sehr detaillierte Ortsbeschreibungen. Isabels Bericht offenbart im Präsens deren Erinnerungen und Träume, Gedanken und Visionen. So wirkt der Text gegenwärtig und appelliert an junge Leser, nicht aufzugeben, wenn im Leben Schwierigkeiten drohen. Diese Wirkung wird durch eine heutige Sprache unterstützt, wenngleich die deutsche Übersetzung einiger weniger Textstellen zu wünschen übrig lässt („Ich bin am Planen.“). Nicholls entwickelt Isabells Kraftquellen aus deren Verantwortungsgefühl für jüngere Geschwister und andere Mitmenschen. Glaubwürdigkeit erreicht die Autorin, weil sie Isabels Ringen um ein würdevolles Leben in den Mittelpunkt stellt. Zwischen wütendem Aufbegehren gegen Verlust von Menschlichkeit, Glaube, Hoffnung und sehnsuchtsvollem Suchen nach Geborgenheit, Freiheit und Sinn des Daseins entwickelt diese literarische Figur ihr Vorbild-Potential. Ihre ausführlichen Recherchen nutzt die Autorin, um am Ende des Buches mit Zahlen und Fakten über die Auswirkungen der Pest in Europa zu informieren und dies ins Verhältnis zu späteren menschlichen Katastrophen und Kriegen zu setzen. Zum Buch gehören ein Inhaltsverzeichnis, das die dreiteilige Struktur mit deren 42 Kapitelüberschriften präsentiert und ein Glossar, in dem historische Begriffe und ungebräuchliche Namen erläutert werden. All dies dient dem Verständnis historischer Zusammenhänge und lässt Isabels Schicksal als eines von Millionen begreifen.

(Der Rote Elefant 32, 2014)