Roter Elefant Bonilla Bilderbuchempfehlung
Das Glück wohnt gegenüber
Wie ich meine Nachbarn kennenlernte
Illustration: Rocio Bonilla
Aus dem Katalanischen von Nina Bitzer
Jumbo Verlag, Hamburg, 2021
40 Seiten
ab 4 Jahren
€ 15,00

Die Bewohner einer Straße beäugen einander misstrauisch: Henne Frieda muss schwerhörig sein! Ständig dröhnt Lärm aus dem Fernseher! Anwalt Herr von Lang, ein Fuchs, mag sicher keine Kinder, bei dem ernsten Blick! Und Kater Rolf lauert bestimmt nur darauf, Maus Felix zu fressen! Zum Glück fällt das Internet aus und die computeraffine Eule Frau Morgentau sucht Hilfe bei Sau Mathilda, der technisch versierten Nachbarin. Diese erste Begegnung löst eine wahre Kontaktkette aus und mündet schließlich nicht nur in ein Nachbarschaftsfest…

Bonillas gemeinschaftsstiftendes Bilderbuch unterwandert auf humorvolle Weise Vorurteile und inspiriert zur Aufnahme von Beziehungen. Dazu nutzt die Katalanin ein Ensemble aus Tierfiguren, deren Charakteristika sie aus realen bzw. fabelgemäßen Zuschreibungen ableitet, was Kinderwissen mitdenkt: Hennen sind kükenkinderreich, Katz und Maus Feinde, Eulen nachtaktiv, Füchse schlau. Die individuellen Namen wiederum verweisen auf menschliche Verantwortung, wobei Riese Peter als Anspielungs-Sonderfall fungiert. Bezugnehmend auf das Märchen „Jack and the Giants“ lässt Bonilla den Riesen an einer Ranke in sein Wolkenkuckucksheim klettern: ein Ort voller Bücher. Die Entlarvung der Vorurteile entsteht durch gegenläufige Text- und Bildinhalte. Äußert eine Figur im Text ein Vorurteil, zeigt die nächste Doppelseite die „Wahrheit“, z. B. bei Henne Frieda die eigentliche Lärmursache (10 tobende Küken) oder – im Gegensatz zur Angst von Maus Felix – den gefürchteten Kater Rolf als Veganer inmitten von Gemüsebeeten.

So sind Betrachter- und Leser*innen schlauer als die Figuren und werden zum Umblättern animiert. Bonillas Aquarellbilder, die in variantenreichen Farbkombinationen auch effektvolle Hell-Dunkel-Akzente setzen, wechseln zwischen plakativen Frontalansichten, gebunden an die vorurteilsbehafteten Figurenblicke, und turbulent-expressiv gestalteten Bildern in vielfältigen Formaten, welche „bewegte“ Nachbarschaft spiegeln, darunter Simultandarstellungen, Wimmelbilder oder comicartige Bildflecken. Nicht zuletzt bieten die mimisch und gestisch komisch überzeichneten Figuren nebst Umfeld ein besonderes Entdeckungsvergnügen. Für Riese Peter muss dafür sogar einmal vom Quer- ins Hochformat gewechselt werden. Leider irritiert der deutsche Buch-Untertitel, da Bonilla im Sinne von Gemeinschaft auktorial über alle erzählt. Ebenso widerspricht das beigegebene Spiel der Buchbotschaft, da es gegeneinander gespielt wird (Wer ist Erster beim Nachbarschaftsfest?). Jedoch könnten Bildmotive bzw. die Spielfiguren selbst für „Vorurteile“ über Figuren, Assoziationen über den Buchinhalt oder als Erzählanlässe genutzt werden.

(Der Rote Elefant 40, 2022)