Der Maler, der in den Krieg zieht (und aus ihm nicht zurückkehrt), ist Franz Marc. Sein Lebenslauf wird nachgezeichnet, seine künstlerische Entwicklung und das Programm der Gruppe „Blauer Reiter“, die sich nicht nur mit Farbtheorien und einer neuen Formsprache beschäftigte, sondern die Idee einer neuen Welt entwarf, einer „Epoche des Großen Geistigen“. Damit stand Franz Marc mit seinen Freun-den Macke und Kandinsky in einer Reihe mit anderen Künstlern, Musikern und Schriftstellern, die sich schon vor Beginn des Krieges in der Nähe einer Zeitenwende fühlten und die Zukunft mitgestalten wollten. Der Krieg wurde von vielen zunächst wie eine Metapher für den Umbruch erlebt, aber die realen Ereignisse an der Front zerstörten alle Illusionen. Im März 1916 stirbt Franz Marc an den Verletzungen durch Granatsplitter während eines Einsatzes bei Verdun.
Das komplexe Thema „Zeitenwende“ wird in einer einfachen, anschaulichen Sprache eher nebenher vermittelt. Der Autor versucht, sich in die Gedanken des Malers einzufühlen, ihn lebendig werden zu lassen, auch mithilfe vieler Zitate aus Briefen oder Tagebüchern. So greift Osteroth z. B. ein buddhistisches Zitat auf, das Marc bereits 1913 auf die Rückseite seines zentralen Gemäldes „Tierschicksale“ schrieb: „und alles Sein ist flammend Leid“. Oder er gibt einfach nur dessen Fragen als gedankliche Anregung weiter: „Wie sieht ein Pferd die Welt?“ Der Titel signalisiert bereits die Intention des Autors, objektives Zeitgeschehen mit der subjektiven Erfahrung eines sensiblen Künstlers zu verbinden. Dieser folgt auch der bisher eher als Comickünstler bekannte Illustrator. Schon auf dem Vorsatz zeichnet Kleist eine Karte der Aufmarschpläne deutscher Generäle und kontrastiert diese auf dem Nachsatz mit einer Collage aus persönlichen Dokumenten: Postkarten, Fotos und Skizzen. In Kleists eher malerischen Illustrationen – Aquarell, Tusche, Mischtechnik – finden sich gelegentlich karikaturistisch-wertende Elemente, etwa beim Attentat von Sarajevo oder wenn General Schlieffen sich über seine Pläne beugt. Bei den Bildern von explodierenden Granaten oder einem gasmaskentragenden Pferd werden jedoch die Schrecken des Krieges ernsthaft ins Bild gesetzt. Kleist schließt sich damit offensichtlich Marcs (von Osteroth zitierten) Aussage an: dieser „tiefbeschämende, schmachvolle Krieg“. Text und Bilder stehen in einem spannungsreichen Verhältnis zueinander, das sich Lesern und Betrachtern unmittelbar mitteilt und in den Aussagen über das Jahr 1914 hinausweist. Zeichnungen und Gemälde Franz Marcs (eines seiner Hauptwerke „Der Turm der blauen Pferde“ galt seit dem 2. Weltkrieg als verschollen, soll aber neuerdings in einem Züricher Banksafe lagern), muss man sich in anderen Bildbänden ansehen.
(Der Rote Elefant 32, 2014)