Der elektrische Todesdraht zieht sich entlang der Grenze zwischen dem von Deutschen besetzten Belgien und den neutralen Niederlanden. Es ist das letzte Kriegsjahr im Ersten Weltkrieg. Zwei Kinder und ein Erwachsener sind auf der Flucht. Ihr Versuch, die Grenze zu überwinden, ist die Rahmenhandlung des Buches. In die einzelnen Flucht-Episoden wird die Vorgeschichte der Personen, hauptsächlich die des 12-jährigen Thierry, eingeflochten. Dessen Vater verrichtet weit entfernt Zwangsarbeit, die Mutter kam bei einem Bombenangriff ums Leben. Thierry gehörte zu einer Gruppe Kinder, die einen Sabotageakt gegen einen deutschen Militärzug geplant hatten, der jedoch scheiterte. Zur Sicherheit brachte ihn der Großvater zu einer Großtante in das dörfliche Geel, das jedoch auch von Deutschen besetzt ist. Dort lernte Thierry die Bauerntochter Elsie und den erwachsenen Autisten Albert kennen. Alberts Begabung liegt darin, zwanghaft Miniaturzeichnungen in Form von Briefmarken anzufertigen, die er dem König schenken will. Ihm gelingt die „weltwichtigste Briefmarke“, deren Motiv jedoch hier nicht verraten wird.
Die milieu- und umfangstarke Erzählung ist – trotz notwendigem Leseatem – nicht nur hochspannend, sondern enthält, z. T. historisch belegt, z. T. fiktional angereichert, Details und Figurencharakteristiken, die gängigen Klischees zuwiderlaufen. So arbeitet z. B. der belgische Großvater als Arzt mit einem Deutschen zusammen in einem Lazarett, in dem Angehörige aller kriegsbeteiligten Nationen behandelt werden – oder sterben; ein Widerstandskämpfer schmuggelt und viele Besatzungssoldaten sind kriegsbedingt traumatisiert. Real ist, dass in Geel eine psychiatrische Klinik existierte, die Patienten „frei ließ“ und in ansässigen Familien unterbrachte. So auch Albert, der bei Elsies Familie lebt. Seit dem Mittelalter gilt die Heilige Sankt Dymphna in Geel als Schutzpatronin der psychisch Kranken. Ein Nachbau des die Grenze damals markierenden Elektrozauns ist unter „dodendraad“ im Internet zu finden. Selten gelingt es, weit zurückliegende historische Ereignisse – wie hier eine Episode aus dem Ersten Weltkrieg – so intensiv nacherlebbar zu machen. Dazu trägt neben dem äußeren Spannungsbogen die perspektivisch wechselnde Erzählweise bei. Dabei sind die überschauenden Passagen durch zeit- und ortsgebundene Fakten bestimmt, an die Figuren gebundene Passagen spiegeln dagegen Handeln und emotionale Widersprüche wider, was Distanzspielräume offenhält. So vermittelt sich zum einen – höchst aktuell – die Brutalität des Krieges. Gleichzeitig wird kritisch hinterfragt, ob moralisches Handeln überhaupt möglich war – oder ist.