Hunderte Fische mit glühenden Augen umringen ein Papierschiff. Was wollen die Fische? Haben sie Böses oder Gutes im Sinn? Wer befindet sich an Bord? Das mysteriöse, etwas beunruhigende schwarz-weiße Titelbild fasziniert, macht neugierig und definiert bereits die Wirkung des Buches. Das Vorsatzpapier zeigt eine Karte, aus der man schließen könnte, dass Folgendes durchaus in der realen Welt verortet ist, doch schon das darauf erkennbare Segelschiff wirkt mit seinem burgartigen Aufbau fantastisch. An Bord des Seglers falten ein Junge im Streifenshirt und eine Figur in einer Fantasieuniform und mit Horn am Kopf ein riesiges Papierschiff. Man muss schon genau hinschauen, um zu erkennen, dass sich keiner von beiden an Bord befindet, als es zu Wasser gelassen wird. Und nun treibt das Papierschiff auf dem Meer … und es folgt eine Reise voller Wunder – über und unter Wasser.
Peter Van den Ende ist ein begnadeter Zeichner, dessen filigrane Schwarz-Weiß-Zeichnungen eine große Sogwirkung entfalten. Seine z. T. surrealistisch wirkenden Bilder sind grandios komponiert und jedes für sich ein Augenschmaus. Ganz ohne Text präsentiert er eine Welt, in der Realität (Tier- und Pflanzendarstellungen könnten aus Lehrbüchern stammen) und Fantasie nahtlos ineinander übergehen. Neben realistisch gezeichneten Tieren finden sich Schildkröten und Seepferdchen mit Schachbrettmuster, Fische mit humanoiden Körpern, Walkrabben, Seezebras, Meeresleoparden, Fischkönige … Betrachter*innen müssen tief in die Bilder „eintauchen“, um alle versteckten Elemente zu entdecken. Fast ist man geneigt, den Buchtitel wörtlich zu nehmen, doch geht das Buch über ein „Treiben lassen“ hinaus. Es lässt sich durchaus eine – wenn auch sehr rätselhafte – Handlung entdecken; bestimmte Figuren und Wesen tauchen erneut auf und die Reise hat offenbar ein konkretes Ziel. Denn: Wer oder was ist die mysteriöse Gestalt, die am Ende das Papierschiff verlässt und erwartet wurde?
Zusätzlich baut van den Ende, einst Student der Biologie und Fremdenführer auf den Kaimaninseln, deutliche Kritik am Umgang der Menschen mit den Wundern der Natur ein. Das düstere Bild einer Bohrinsel, deren schwarze Rauchschwaden hunderte weißer Vögel tot ins Meer stürzen lassen, in dem Unmengen toter Fische treiben, bleibt lange im Gedächtnis.
Nach dem Falten eines Papierschiffs können Kinder anhand von Fotografien oder Filmausschnitten die faszinierenden Unterwasserwelten der Weltmeere kennenlernen, um dann eigene, vom Buch inspirierte fantastische Mischwesen zu gestalten. Die akute Bedrohung der Weltmeere sollte dabei ebenfalls thematisiert werden.
(Der Rote Elefant 39, 2021)