Das Mädchen Paula gelangt in ihren (Alb)Träumen in verschiedene Welten. Doch nirgends darf sie sein wie sie ist, überall lauern Anpassungsdruck und Eintönigkeit: für das Land der Kugeln und Kreise hat Paula zu viele Ecken und Kanten, im Land der Winkel und Zacken wirkt sie zu rundlich; an ihrer Blässe stört man sich im Land der roten Töne und für das Land Kopfunter geht sie zu aufrecht. Paula soll sich angleichen! „Aber schon wird sie erfasst und der Gegend angepasst.“ Findig und beherzt entkommt Paula jedes Mal – durch ein kreisrundes Loch, eine rechteckige Falltür, einen roten Farbfluss oder mit Hilfe einer Strickleiter, die ins fünfte Land führt. Hier darf Paula endlich Paula sein, hier ist sie willkommen.
Paul Maars Gedicht handelt vom Mut, sich selbst zu vertrauen, und von der Lust, die Vielgestaltigkeit und Vielfarbigkeit des Lebens zu entdecken. Der Text kommt ein wenig altbacken daher (unter dem Titel „Lisas Reise“ erschien er bereits 1996, illustriert von Kestutis Kasparavicius), doch die Illustrationen machen das Buch zum Erlebnis: Muggenthaler kommentiert, verstärkt, fügt hinzu, teilweise diametral zum Text. So zeigen sich in den verbal gleichgeschalteten Ländern anarchistische Tendenzen: in rote Mäntel gehüllte Gurkenmänner beklecksen heimlich die Wände des roten Landes mit grüner Farbe, während ein grün leuchtender Froschkönig frech grinsend auf dem Zelt der roten Königin thront: Regiert er etwa dieses Land? Durch Muggenthalers Bilderwelt erhält Andersartigkeit ihren besonderen Reiz und wirkt sogar ansteckend. Denn nach und nach folgen Paula aus jedem Land ein paar Neugierige und Entdeckungsfreudige. Blicken sie anfangs noch ratlos-zögernd Paula hinterher, ergreifen sie am Ende beinahe kühn die Chance, Paula in die Freiheit zu folgen.
Zur Einführung dieses Buches bietet sich das Cover an. Ausgehend von Paulas Sprung in die roten Fluten werden Vermutungen über das Mädchen und die Situation angestellt: Wer ist sie? Wo kommt sie her? Wo will sie hin? Wer schaut ihr so entsetzt nach? Und warum? Das Motiv der Reise wird aufgegriffen: die Kinder lernen die vier Länder kennen und bauen sich am Ende ihre ganz eigene, gemeinsame Welt – aus Schachteln, Rollen, Farben. Oder sie nutzen Muggenthalers Handwerkzeug (schwarzer Bleistift und Kreide) und zeichnen ihre Welten – wie die Künstlerin – auf cremefarbenem Untergrund.
(Der Rote Elefant 26, 2008)