Ode an einen Stern
Illustration: Ele Odriozola
Aus dem chilenischen Spanisch von Fritz Rudolf Fries
22 Seiten
ab 6 Jahren
€ 14,

Pablo Neruda, einer der bedeutendsten Poeten Lateinamerikas, veröffentlichte 1957 mit seinem 3. Buch der Oden (Tercer Libro de las Odas) zugleich das nachdenklichste Buch seiner Odentrilogie. Neruda wendet sich von lebensbejahenden Naturbildern hin zum Alltäglichen und vor allem zum Vergänglichen. Das Gedicht Ode an einen Stern (Oda a una Estrella) erschien in diesem dritten Band: Was passiert, wenn man nach den Sternen greift und plötzlich einen von ihnen in den Händen hält? Das lyrische Ich dieser Ode greift in einem „Anfall hemmungsloser Liebe“ von einem Hochhaus aus nach einem Stern. Der Protagonist nimmt ihn mit nach Hause und versteckt ihn eifersüchtig unter dem Bett. Aber der Stern überstrahlt alles, sein Leben, seinen Alltag, ja ihn selbst. Er hört nicht auf zu flackern, so „als möchte (er) zurückkehren“. Nur langsam begreift der Protagonist, dass es unmöglich ist, den Stern zu halten. Vorsichtig bringt er ihn zum Grünen Fluss und gibt ihn in einem Akt der Erlösung frei.

Der Stern steht für etwas scheinbar Unerreichbares; vielleicht für eine ersehnte Liebe, die, hat man sie erreicht, doch zu etwas Unerträglichem werden kann; oder er steht für die Erfüllung eines Traumes bis man erkennt, dass es das Träumen selbst war, was einem Halt gegeben hat.

Elena Odriozola greift anfangs die Abkehr Nerudas von der Naturmotivik auf; manchmal taucht noch ein Büschel Gras oder ein Hund auf. Schauplatz ist die Stadt. Diese zeigt sich niemals ganz, doch ist ihre übermächtige Größe dadurch präsent, dass sie nur in Ausschnitten zu sehen ist, als passe sie auf keine Buchseite. In diese durch klare Formen und gedeckte, meist dunkle Farben gestaltete Großstadtkulisse mischt sich der flirrend wirkende, alles erleuchtende und über-leuchtende Stern. Nach und nach werden immer mehr Gegenstände und Personen mit durch-lässigen Mustern ausgestattet. Auf den letzten Bildern wird die als entfremdet dargestellte Lebenswelt des lyrischen Ichs abgelöst durch eine aquarellhafte Naturkulisse aus leichtem Blätterwerk, in welche der Stern farbig übergeht. Zuletzt wird der Stern ins Wasser entlassen und wieder eins mit der Natur.

Die Übersetzung des Schriftstellers Fritz Rudolf Fries greift die Bilder Nerudas auf, den Sprachfluss aber, der im Original sehr melodiös wirkt, setzt er auf eine eher nüchtern wirkende Weise um. Das sorgfältig komponierte Zusammenspiel von Text, Textmontage und Illustrationen Odriozolas vermittelt jedoch die Poetik des Originaltextes.

Der Stern als Symbol für etwas scheinbar Unerreichbares bietet die Grundlage für eine Veranstaltung mit Jugendlichen. Individuelle Überlegungen darüber, was der Stern für den einzelnen symbolisiert, steht am Anfang der Veranstaltung. Davon ausgehend wird der Stern als Symbol in verschiedenen Kulturen oder Weltauffassungen erarbeitet. Warum haben beispielsweise die Türkei oder auch die europäische Gemeinschaft sich den Stern als Symbol für ihre Flagge gewählt? Die Grundidee: ein Bewusstsein dafür zu schaffen, wie wichtig es ist, nach etwas zu streben, auch wenn es unerreichbar erscheint und sich vielleicht nie erfüllt.

(Der Rote Elefant 29, 2011)