Roter Elefant Tallec Bilderbuchempfehlung
Das ist mein Baum
Illustration: Olivier Tallec
Aus dem Französischen von Ina Kronenberger
36 Seiten
ab 5 Jahren
€ 13,00

Der französische Künstler erzählt hintergründig und intelligent, wohin Ängste, Neid und Selbstermächtigung führen können … Den Rasenmäher lenkend, umrundet ein Eichhörnchen in stolzer Haltung einen Baum, Betrachtende fest im Blick haltend. „Ich liebe Bäume. Ich liebe diesen Baum, das hier ist mein Baum.“ Samt Zapfen! Und doch scheint der tierische Held seines behaupteten Besitzes nicht sicher: Was, wenn „jemand Lust bekommt, meine Zapfen im Schatten seines Baums zu essen oder seine Zapfen im Schatten meines Baums? Am Ende gehört der Baum allen, gehören die Zapfen allen und der Schatten auch.“ Teilungsphantasien plagen den „Baumbesitzer“: ein Tor, ein Zaun oder am besten eine dicke, lange Mauer muss her! Und was verbirgt sich dahinter? Größere Bäume mit noch größeren Zapfen? „Ein Wald, der mein Wald sein könnte.“

Tallec wählt bewusst ein niedliches Nagetier, das zugleich ein Nesträuber ist und zielt mit der Erzählung auf unsere Gesellschaft und ihren besitzergreifenden Umgang mit natürlichen Ressourcen. Wem fiele da nicht Rousseaus „Abhandlung über den Ursprung und die Grundlagen der Ungleichheit unter den Menschen“ ein: „Der erste, der ein Stück Land mit einem Zaun umgab und auf den Gedanken kam zu sagen ,Dies gehört mir‘ und der Leute fand, die einfältig genug waren, ihm zu glauben, war der eigentliche Begründer der bürgerlichen Gesellschaft. Wie viele Verbrechen, Kriege, Morde, wie viel Elend und Schrecken wäre dem Menschengeschlecht erspart geblieben, wenn jemand die Pfähle ausgerissen und seinen Mitmenschen zugerufen hätte: ,Hütet euch, dem Betrüger Glauben zu schenken; ihr seid verloren, wenn ihr vergesst, dass zwar die Früchte allen, die Erde aber niemandem gehört.‘“ Sein Sujet gestaltet Oliver Tallec mit knappen Ich-Aussagen und Aquarellen, die auf den Buchseiten in Gelb, Orange und Braun leuchten. Gemischte Farbtöne lassen Hintergründe, Figuren und Baumlandschaft verschieden hell oder dunkel erscheinen. Blei- und Buntstift nutzt er zum Konturieren und Strukturieren. Eichhorns Körperhaltung und  Mimik drücken dessen Gemütszustände aus und führen vor, wie übertrieben komisch der an eine Trickfilmfigur erinnernde Held genießt, sinniert, verzweifelt oder zürnt. Raum für Assoziationen schafft der Künstler, indem er den „Besitzer“ frei auf eine weiße Fläche stellt.

Mit dem Schlussbild offenbart sich die Wirklichkeitsferne der Besitzbehauptung. Es könnte im Rahmen einer Buchpräsentation ausgespart bleiben, damit Kinder und Erwachsene ein eigenes Schlussbild mit ähnlichen Materialien, wie Tallec sie nutzt, gestalten. Der Vergleich mit dem Buch wäre ein guter Gesprächsanlass.

(Der Rote Elefant 39, 2021)