Auf nur 64 Seiten erzählt der erfahrene britische Autor von einer intensiven Großvater-Enkel-Beziehung und damit eine komplexe Familiengeschichte.
Morpurgo verbindet die reflektierte Ich-Perspektive des rückblickenden 50-jährigen Erzählers mit dem enthüllenden Ich-Bericht des Großvaters und erreicht so eine hohe Authentizität.
Vor der ersten Begegnung mit dem Großvater in London quälte den kleinen Michael ein Alptraum, begründet in Andeutungen der Eltern, das entstellte Äußere des Großvaters betreffend. Aufgrund von Kriegsverletzungen fehlten Oberlippe, Ohr und mehrere Finger. Michael solle den Großvater ja nicht anstarren! Doch Michael, von (un-)heimlicher Faszination getrieben, hält sich nicht daran. „Ich war nie abgestoßen … Wenn es anders gewesen wäre, hätte ich ja leicht wegschauen können … Ich sah in seinen dunkelblauen Augen das Leid, das er durchgemacht hatte – Augen, die niemals blinzelten.“ Doch Großvater kommt selten, nicht nur, weil die Scilly-Inseln weit entfernt sind. So besucht ihn Michael als 12-jähriger in den Sommerferien, genießt ungestörte Streifzüge und die Einfachheit des Insellebens. Geredet wird wenig, gelacht gar nicht. Beim Lachen würde die Haut des Großvaters zu stark gespannt. Jahre später bittet der Alte den Enkel ihm beim Fischfang zu helfen. Die Beobachtung eines Glück bringenden Tölpels auf dem Meer bringt den Großvater dazu, dem Enkel seine Geschichte zu erzählen. Michael hört vom Torpedoangriff und der Rettung des Großvaters, von körperlichem und seelischem Schmerz. Und auch davon, dass Großmutter Annie das Leben mit dem versehrten Großvater nicht mehr aushielt und ihn mit der kleinen Tochter, Michaels Mutter, verließ. Diese traf den Vater erst als Erwachsene und verzieh Annie nie, dass sie ihr den Vater vorenthielt. Nach Großvaters Tod findet Michael dessen letzten Willen: Er bittet um eine Seebestattung und darum, dass auch Großmutter Annie dabei sei: „Ich möchte, dass alles in Ordnung kommt.“
Die literarische Qualität des atmosphärisch dichten Textes über eine langsam wachsende Beziehung findet ihre bildkünstlerische Entsprechung in der Verwendung des Siebdrucks für die Illustrationen, ist doch Siebdruck ein Verfahren, bei dem die Farben erst nach und nach durch ein Sieb dringen. Die Illustratorin färbt Landschaften, Räume und Personen in zartem Gelb, Orange und Hellblau. In Grau und Weiß setzt sie Akzente. Alle Illustrationen könnten als Einzelkopien zu einer Bildfolge zusammengestellt werden. Im Vergleich mit dem Text enthüllt sich deren adäquat-ästhetische erzählerische Kraft.
(Der Rote Elefant 33, 2015)