Die Begegnung mit einem ehemaligen Seemann, der später Sprach- und Schreibkurse in Kreolisch gab, inspirierte die kolumbianische Autorin zu vorliegender Geschichte. Der Seemann heißt hier Johnny Tay und ist die eigentliche Hauptfigur. Ihm begegnet der 10-jährige Pedro, der mit seiner Mutter eine Woche Urlaub auf der karibischen Insel Providencia macht. Über diesen Urlaub ist Pedro so glücklich, dass er mehr als einen halben Zentimeter wächst. „Wenn er traurig war, wuchs Pedro nicht.“ Trotzdem vermisst Pedro den Vater und fragt die Mutter, ob dieser nicht mehr zurückkäme. Als die Mutter dies zugibt, läuft Pedro wütend davon und verirrt sich. Glücklicherweise findet er Unterschlupf in der Hütte von Johnny Tay. Johnny kocht für Pedro und erzählt Geschichten. Einer seiner Vorfahren kam angeblich vor 300 Jahren mit dem Piratenadmiral Captain Drake auf die Insel. Das bestätigt auch die redselige Papageiendame Victoria, die damals schon dabei gewesen sein will. Piratenstories, Traumerlebnisse und reale Wünsche durchdringen einander. Johnny verfügt über Lebensweisheiten, die Pedro helfen, den Verlust des Vaters, der die Familie verlassen hat, zu verarbeiten und zu sich selbst zu kommen. In diesem Sinne lautet die Überschrift des 2. Kapitels: „Um sichselbst zu finden, muss man erst verloren gehen“. Überdies spielt das Erlebnis der Natur eine wichtige Rolle, die Erfahrung der Unterwasserwelt beim Tauchen und Harpunieren. Am Ende bricht die Mutter, die eine Nacht lang den Sohn gesucht hat, ihr Schweigen und wird mit Pedro über die gescheiterte Ehe reden.
Die Geschichte lebt von der authentischen Vermittlung karibischen Lebensgefühls, worin Zeit und Raum z. T. aufgehoben scheinen, Magie und Realismus fast unmerklich ineinander übergehen. Auch die subtilen Illustrationen der ebenfalls kolumbianischen Künstlerin Elizabeth Bulles spiegeln Realität und Imagination. Dabei finden sich in den Bildern Glück und Trauer des Jungen farblich ebenso wieder wie der Witz von Johnnys Seemannsgarn. Die Seeschlacht zwischen zwei Piratenschiffen z. B. setzt die Künstlerin als „Schiffe-Versenken“ originell ins Bild. Ein Lesevergnügen mit Tiefgang.
(Der Rote Elefant 36, 2018)