Tote Maus für Papas Leben
Aus dem Niederländischen von Meike Blatnik
104 Seiten
€ 9,90

Die Wahrscheinlichkeit, dass einem Kind seine geliebte Maus wegstirbt, ist groß. Die Wahrscheinlichkeit, dass ein Kind seine geliebte Maus UND seinen Vater verliert, ist kleiner. Dass Maus, Vater UND Hund sterben, erscheint dagegen äußerst unwahrscheinlich. Aus dieser schlüssigen Überlegung heraus entwickelt die 10-jährige Kiki einen ausgeklügelten Plan um das Leben ihres Vaters, auf dessen Anruf die Familie angespannt wartet, abzusichern. Der Vater arbeitet als Arzt in Krisengebieten und kommt immer wieder in lebensbedrohliche Situationen. Damit mutet er nicht nur sich selbst, sondern auch den drei Frauen seiner Familie viel zu.

In einer kuriosen Mischung aus magischem Denken und Wahrscheinlichkeitstheorie nimmt die Tochter das Schicksal der Familie in die Hand. Ihre Tötungsabsichten, egal ob für Maus oder Hund, haben tragikomische Qualität, z. B. für die Maus: Totschmelzen in der Sonne, Kopf abhacken, ertränken, aus dem Fenster fallen lassen oder einer Katze geben. Mit Kikis wachsender Angst der Vater gilt inzwischen als vermisst steigern sich auch deren Ersatzhandlungen. Besonders beeindruckt die Szene, wo Kiki die altersschwache Hündin Mona über ein Brückengeländer hält, um sie von darunter durchdonnernden Lastern platt walzen zu lassen. Zum Glück holt ein fremder Mann Kiki aus ihren Allmachtsphantasien auf den Boden der Tatsachen zurück. Zu diesen schmerzlichen Tatsachen gehört letztlich, dass der Vater schwer verletzt zurückgeflogen wird, ein Bein muss amputiert werden.

Emotional engagiert und glaubhaft beschreibt Kiki ihre skurrile Strategie, schwankend zwischen Ernst und Komik. Die erzählte (Warte)Zeit beträgt eine Woche. Für Großmutter, Mutter und Tochter eine Ewigkeit, aber Mutter und Tochter reden viel miteinander. Die Gespräche vermitteln auf einfühlsame Weise, wie ambivalent Gefühle für jemandem sein können, den man liebt und dessen Lebenshaltung man achtet. Diese Haltung macht die Sorge um den geliebten Menschen keineswegs leichter, aber gemeinsam traurig zu sein und über die Angst zu sprechen, erleichtert ein wenig. Das schmale Büchlein steckt voller Lebenserfahrung und letztlich bleibt vieles – wie im richtigen Leben – offen. Die Autorin setzt darauf, dass Kindern angstbesetzte Situationen vertraut sind, in denen sie weit mehr fühlend verstehen, als Erwachsene ahnen. Um ausgehend vom absurd klingen Titel „Tote Maus für Papas Leben“ auf Buch und Erzählton einzustimmen, könnte eine zweispaltige Tabelle erstellt werden. Spalte 1: Welche Haustiere haben die Kinder oder hätten sie gern? Spalte 2: Welche Berufe von Familienmitgliedern sind lebensgefährlich? Das Gespräch über das Erfasste mündet in die  Frage: Was könnte das eine mit dem anderen zu tun haben? Das Verknüpfungsergebnis kann nur absurde Einfällen hervorbringen. Eine entsprechende Lesestelle etwa ein Dialog in der Zoohandlung oder ein Teil der Brückenszene schließen sich an. Damit ist die Neugier auf Hauptfigur und Inhalt des Buches geweckt, die Dimension der Problematik entfaltet sich eher bei der Eigenlektüre.

(Der Rote Elefant 27, 2009)