Ein Motto des Buches stammt von Jean Paul Sartre: „Der Mensch ist Angst“. Dem setzt der deutsche Titel die Utopie einer Hoffnung entgegen. Der Originaltitel lautet „Mit Haut und Haar“. Im Buch ist vom Krieg oder besser von Kriegen häufig die Rede. Einige der Kriege des 20. Jahrhunderts bilden den Erzählrahmen, Vergangenheit und Gegenwart durchdringen sich. Beispielsweise fanden zwischen März und August 2003 Demonstrationen von Schülern gegen den Irakkrieg statt. Der 18-jährige Joppe, Ich-Erzähler dieser Episoden, nimmt daran teil. Damit verbunden ist als zweiter Erzählstrang die Geschichte des Urgroßvaters Tist, der im Verlauf des Sommers 2003, 99-jährig, stirbt. Am Vorabend des 1. Weltkriegs ist Tist zehn Jahre alt und lernt beim Vater sowohl das Schneiderhandwerk als auch das Geschichtenerzählen. Die mythischen Figuren aus den Schauergeschichten, die Tists Vater seinen Kundinnen erzählte, werden lebendig: man sieht den Nebel über dem Deich, riecht den Schlamm am Fluss und hört die Knochenmadam schmatzen. Eigentlich ist es ein Buch vom Sterben und von Menschen, die in Liebe, Hass, Stolz und Angst ineinander verstrickt sind. Es werden viele und unterschiedlich schreckliche Tode gestorben. Der von Tist dauert am längsten und wird am eingehendsten beschrieben. Fast alle Personen sind gezeichnet von Kriegs- und Entbehrungserlebnissen. Deren psychische Folgen durchdringen Alltag und Träume, äußern sich als Flucht oder Kommunikationsverweigerung. Ein wenig Hoffnung geben die jüngeren Menschen, die noch nicht aufgegeben haben und sich engagieren.
Die Autorin bezieht die beiden Erzählstränge inhaltlich, motivisch und sprachlich sehr dicht aufeinander. Sie lässt unbequeme und widersprüchliche Figuren auftreten, anschauliche Szenen aus Vergangenheit und Gegenwart entstehen und ihren Lesern noch Spielraum, sich dazu zu verhalten. So ist sowohl ein lebendiges Geschichts- und Geschichtenbuch entstanden als auch ein aktueller emotionaler Appell wider die Gleichgültigkeit.
(Der Rote Elefant 25, 2007)