Cover: Marie von Ebner-Eschenbach; Das Nilpferd

Das Unvereinbare scheint vereinbar geworden. Eine Schmetterlingsraupe hat sich versehentlich auf einem Nilpferd niedergelassen. Jetzt läuft es durch die Savanne und hat auf seinem massigen Körper zwei zierliche Flügel. Ein anderes Nilpferd entdeckt das Unmögliche, eine vom Nilpferd insgeheim angebetete Nilpferddame macht sogar Komplimente und die begeisterte Herde ist überzeugt, dass das Nilpferd nun fliegen könne. Ob das gut gehen kann? Die heimlichen Flugversuche des Dickhäuters jedenfalls scheitern kläglich. Doch ein wenig angeben kann nicht schaden: „Freilich, so einen Ausflug nach Sansibar hinüber habe ich kürzlich unternommen.“ Bis der Wind eines Tages die Flügel davonträgt. Das Nilpferd erschrickt, fängt sich aber sofort wieder und reagiert souverän. Seine Ver-sicherung, gar nicht anders sein zu wollen als die anderen, trägt ihm noch mehr Bewunderung ein.

Preist die Fabel der österreichischen Schriftstellerin (1830 – 1916) die Bescheidenheit oder werden hier Projektionen anderer als Möglichkeit zur eigenen Aufwertung genutzt? Beides ist möglich. So modern die Sprache dieser Fabel ist, so aktuell sind ihre Deutungsmöglichkeiten. In einer Zeit der Hypes und Mega-Events kann man nicht lange genug über die innere Wahrheit der Geschichte nachdenken. Vollends großartig ist der Schlusssatz: „Heute noch lebt er als Phönix in der Geschichte und in der Dichtung der Nilpferde unsterblich fort.“ … Wo gibt es sie, die „Dichtung der Nilpferde“? Wie wunderbar wäre es, sie zu finden … und sie zu verstehen! Eine Brücke zu dem Anderen, anderen Kulturen, anderen Erfahrungen,  anderem Wissen!

Die Umsetzung in Bilder, zart colorierte Federzeichnungen, ist der Illustratorin hervorragend gelungen. Es muss eine wahre Herausforderung gewesen sein, das extrem Plumpe mit den extrem Leichten visuell zu verbinden. Das blasse Rot der Flügel inmitten vielen Graus zieht als zentrales Motiv den Blick des Betrachters magisch an. Ergänzend zum Text steht das Nilpferd auch mal vor einem Teich, weil es herausfinden will, ob da wirklich etwas ist. Im Text prüft es ausschließlich mittels Flugversuchen, ob sich die anderen nicht nur einen Spaß machen wollten … Ganz ohne Text kann man die Geschichte auch anhand der Bilder erzählen. Und Kinder werden sie sofort begreifen und sich lange daran erinnern und vielleicht eine Ahnung davon bekommen, welche Verheißungen in der Phantasie liegen können.

(Der Rote Elefant 32, 2014)