Genau wie alle anderen wird Ina in den Sommerferien in den Süden fahren. Mutter und Ina werden im „Blue Lagoon Deluxe“ wohnen, in einer Suite am Strand. Und genau wie alle anderen postet Ina im Klassenchat „Süden“-Fotos, die sogar von obercoolen Mitschüler*innen gelikt werden. In Wahrheit hat Inas  alleinerziehende Mutter kein Geld für Urlaub. Ina muss den Sommer in der hässlichen Wohnsiedlung im „falschen Teil der Stadt“ verbringen. Zwar umgeht Ina mit der aufrechterhaltenen Lüge eine Bloßstellung, aber die Sehnsucht, zu sein wie alle anderen, und die Angst, dass alles auffliegt, schmerzen. Mit der Mutter kann Ina nicht darüber reden, will diese nicht zusätzlich belasten. Erst als der Klassenneue Vilmer sich Ina zuwendet, fühlt sich diese nicht mehr so allein. Aber der Freund stammt aus ihrem Milieu und so verrät sie ihn, als wirklich alles auffliegt, obwohl sie inzwischen in ihn verliebt ist. Spät erkennt sie, dass mit ihm „Süden“ auch „irgendwo“ in einer Kellerwohnung zu erleben ist.

Soziale Ausgrenzung ist nicht nur in Norwegen politisch brisant. Auch in Deutschland ist jedes fünfte Kind von Armut betroffen. Die damit verbundene Scham und der große soziale Druck sind für Außenstehende oft unsichtbar. Kaurins etwa 12-jährige Ich-Erzählerin macht dieses „Unsichtbare“ nachvollziehbar, indem die Autorin die Leser*innen auf eine emotionale Reise durch die Innenwelt ihrer Protagonistin mitnimmt und diese von Gefühlen, Handlungen und Konflikten glaubwürdig unaufgeregt erzählen lässt. Dabei ist eine Stärke des Romans, dass sie den Fokus nicht vordergründig auf Gewalt, Alkoholkonsum bzw. die (vielleicht) depressive Mutter richtet. Inas Dilemma ist zwar durch die familiäre und finanzielle Situation bestimmt, aber auch schichtenübergreifende Aspekte spielen im Text eine Rolle. Einerseits manövriert sich Ina durch Lügen immer mehr in eine Außenseiterrolle, andererseits gehören Lügen auch zum  Erfahrungsschatz der Leser*innen, sodass sich Ina deren Empathie sicher sein kann. Darauf aufbauend lässt Kaurin Inas Lüge im Klassenchat, worin alle nur die Sonnenseite(n) ihres Lebens posten, eskalieren und zielt damit wiederum auf die Lebenswirklichkeit aller Leser*innen. Inas Befreiung aus dem Lügen-Schlamassel steht somit für das Bekenntnis zum eigenen Ich abseits medialer Fremdinszenierung.

Für einen Bucheinstieg könnten Kinder in Kleingruppen Textausschnitte und Gegenstände erhalten, die davon erzählen, wohin Ina und ihre Mitschüler*innen in den Ferien reisen. Im Gesprächsverlauf erhielten die Kinder zusätzlich einen Chatbeitrag von Ina. Würden die Kinder diesen Post liken? Erscheint er glaubwürdig? Was möchten sie über Ina wissen?

(Der Rote Elefant 38, 2020)