Roter Elefant

Ein Mädchen kommt voller Vorfreude zur Oma auf eine Insel im Meer und genießt die gemeinsamen Unternehmungen. Tauchen gehört dazu. „Langweilig wird mir hier eigentlich nie!“. Auch im Haus hat die Ich-Erzählerin viel zu tun, malt und bastelt, während Oma in der Küche werkelt. Nur in der Nacht ist es nicht geheuer, die Geräusche machen Angst. Aber Oma weiß Rat. Ein aufmerksamer Gang durch die Dunkelheit vermittelt dem Mädchen, wo die Geräusche herkommen. So ermutigt, wagt es sogar, ausgestattet mit Taschenlampe und Glühwürmchen auf der Schulter, allein im Dunkeln kleine Dinge aufzusammeln.  

Die Schweizerin Malin Widén greift mit ihrem Debüt gleich drei im Bilderbuch beliebte Themen auf: Besuch bei den Großeltern, Urlaub am Meer, Angst in der Dunkelheit. Diese verknüpft sie kongenial miteinander, sodass sich Kinder während und nach dem (Vor)lesen absolut geborgen fühlen können. Offenbar geht es der Künstlerin darum, dass Kinder selbst Dingen auf den Grund gehen, die Angst machen und das am besten in vertrauter Begleitung. Widén nimmt diesen Prozess beispielhaft auf, indem sie auf dem Weg in die Nacht die Geräusche nicht erklärt, sondern nur bildlich darstellt. So heißt es z. B. „Am Bach summt es“ und auf der nächsten Doppelseite umgibt ein Mückenschwarm das Mädchen. Vom knarrenden Baum im Garten über die Wiese bis hin zum Wasser nimmt der Geräuschpegel immer mehr ab, die Angst des Kindes schwindet: „Unter Wasser ist es still“, bereits eine Tagerfahrung beim Tauchen. So kann das Mädchen das unterwegs Gefundene, etwa die Feder oder eine Muschel, nach einer friedlich durchschlafenen Nacht am nächsten Morgen den tagsüber gesammelten Schätzen hinzufügen. Widén verbrachte viel Lebenszeit in Schweden, was vermutlich die Farbgebung der Bilder beeinflusste. Ihre aquarellierten Illustrationen in überwiegend Blau- und Grün-Tönen geben sehr gut die Stimmung eines Ortes am Meer wieder, wobei aus den gedeckt-farbigen Bildern das Mädchen in seiner gelben Jacke hervorleuchtet, was sie klar als Identifikationsfigur ausweist. Überdies enthalten Widéns Illustrationen viele Details, die von Kindern entdeckt werden können.

All die Basteleien und Bilder des Mädchens im Haus der Großmutter motivieren zur Nachahmung! Was ist in den Wohnungen der eigenen Großeltern oder in deren Umfeld zu entdecken und künstlerisch zu gestalten? In der Natur gilt für Kinder und Erwachsene gleichermaßen: Schätze sammeln! Und: Ein gemeinsamer nächtlicher Ausflug zur Erkundung der Geräusche in der Dunkelheit ist ein guter Weg zur Angstbewältigung.

 

(Der Rote Elefant 40, 2022)