Annie und die Bärenjäger
Illustration: Lotte Bräuning
32 Seiten
ab 5 Jahren
€ 14,95

Ort des Geschehens: ein Saloon. Drei zechende Westernhelden haben ein „Wanted“-Blatt vor sich: Für die Erlegung eines im nahen Wald hausenden Bären winken 5.000 $. Das Geld kommt den Helden gerade recht. Dicker Jack könnte damit einen eigenen Saloon eröffnen, kurzer Freddy Land am Fluss erwerben, um Gold zu schürfen, und dürrer Slim Unmengen Whiskey kaufen. Aber zuerst muss ein Plan her! Die Drei strotzen vor Ideen: Auf die Lauer legen und „Paff ist der Bär erledigt!“, mittels einer Schlinge dem Bösewicht das Licht auspusten, Grube graben, Zweige drauf, Bär mit in Whiskey getränkten Würsten anlocken und ab ins Loch …! Weil keiner des anderen Plan für perfekt hält, geraten die Trunkenbolde in Streit und nicht nur Stühle und Tische in Schieflage. Das „Wanted“-Blatt rutscht Kellnerin Annie direkt vor die Füße … Nach ihrem Zoff sehen die „Bärenjäger“, die nun den perfekten Plan haben, wie Annie samt erlegtem Bären an ihnen vorüberzieht. Wie sagt der Volksmund? Man soll das Fell des Bären nicht verteilen, bevor der Bär erlegt ist.

Die Westernparodie der in Hamburg lebenden Künstlerin Lotte Bräuning vereint Bilderwitz und Wortspiel, um Rollenstereotype zu karikieren bzw. ad absurdum zu führen. Schnell wird für Betrachter- und Leser*innen klar, wer hier „Maul“-Held ist und wer handelt. In diesem Sinne kommt die eigentlich Handelnde im knappen, ironisch-pointierten Text, der fast nur aus „Helden“-Dialogen besteht, nicht vor.

Bräunig arbeitet durchgängig mit Doppelseiten, wobei sie neben den immer „schräger“ werdenden Saloon-Szenen auch die Jagdphantasien der Trunkenbolde im Wald inszeniert. Somit spiegelt sich die vorgeblich männliche Dominanz auch im Bild. Annie ist nur selten zu sehen, aber letztlich „gewaltig“. Anfangs am (Bild)Rand stehend, beherrscht sie in zwei Szenen kraftvoll den gesamten Bildraum: auf dem Weg zur Jagd mit Jacks Gewehr und zurück mit erlegtem Bären.

Mit Buntstiften auf Aquarell charakterisiert Bräuning Figuren und Räume, wobei gemäß dem Objekt der Begierde Brauntöne dominieren. Schon der Erdboden auf dem Cover, das bereits signalisiert, wer hier wen erlegt, als auch Vor- und Nachsatz lassen an „Bärenfell“ denken. Zentral erscheint die farblich abweichende Doppelseite, wo Annie durch die blau-schwarze Nacht schreitet, scheinwerferähnlich vom Licht des Saloons beleuchtet.

Kinder könnten nach einer Buchbetrachtung das Geschehen aus Annies Perspektive erzählen. Angeregt durch die Illustrationen auf dem Titelblatt könnte die Erzählung so beginnen: Vor langer, langer Zeit betraten drei Cowboys unseren Saloon, ermüdet vom Ritt durch die Prärie. Ich brachte die bestellte Flasche Whiskey und drei Gläser …

(Der Rote Elefant 38, 2020)