Roter Elefant Bilderbuchempfehlung

Die Geschichte beginnt vor der Geschichte. Cover und Rückendeckel zusammen betrachtet, setzt sich aus Hinter- und Vorderteil ein Bär zusammen, aus dessen gewaltigem Po Häufchen fallen. Überdies hat auf dem Vorsatz ein Rotkehlchen eine Kirsche im Schnabel. Drinnen wird von einem Waldteich erzählt, an dem sich einst viele Tiere trafen. Nach Abholzung des Waldes entstand ein Wohngebiet. Nur die Vögel können noch zum Wasser fliegen, allen anderen Tieren ging ihr Lebensraum verloren. Sie müssen „etwas unternehmen!“ Der Plan: Die Vögel überfliegen das Wohngebiet und lassen hie und da Kirschen fallen; Fuchs, Igel, Hase und Maus streifen mit Baumsamen im Fell an Hauswänden entlang und die Eichhörnchen verbuddeln Nüsse. Der Bär jedoch, vollgefressen mit Früchten und Nüssen, hinterlässt Häufchen … Aus den Hinterlassenschaften sprießt neues Grün, die Kinder pflegen die Triebe und bald sind Teich und Häuser von einem jungen Wald umgeben. Die letzten Doppelseiten zeigen, wie Leben von Mensch und Tier in der Stadt gelingen kann.

Linda Wolfsgruber erhielt kürzlich den Christine-Nöstlinger-Preis, in dessen Laudatio ihr Blick für Kostbarkeit und Schönheit von vermeintlich Nebensächlichem gelobt wird. Von diesem Blick zeugen auch hier die erzählstarken Bilder, die eigentlich keinen Text brauchen. Wieder kombiniert Wolfsgruber mit Sorgfalt und künstlerischem Können verschiedene Techniken. In warmen Farben druckt sie ausgeschnittene Silhouetten und Pflanzen oder zeichnet mit Tempera, Tuschfeder und Aquarellfarben winzige Details, sei es beim Häuserbau oder im Wald. Wirkungsstark nutzt sie manchmal die Buchmitte als Grenze zwischen Tag und Nacht, Wildnis und Zivilisation. Die Grenze zwischen Binnengeschichte und Rezeption hebt sie jedoch einmal gezielt auf, indem die Tiergruppe Betrachtende direkt anblickt, als fordere sie eine Haltung ein. Dabei bestechen minimale mimische Differenzen, die ganz Verschiedenes ausdrücken: Arglosigkeit, Staunen, Widerborstigkeit, Hoffnung …

Vor einer Buchvorstellung könnte geklärt werden, wessen Hintern auf dem Cover was „macht“ und was das bedeuten könne. Nach Kenntnis des Buchanfangs schlüpften die Kinder dann in eine Tierrolle und fantasieren Lösungen für das Problem, wissen doch schon jüngere Kinder, was passiert, wenn ein Samen auf der Erde landet. Wolfsgrubers einfache Drucktechniken (Pflanzen, ausgeschnittene Silhouetten) lassen sich auch schon mit Kindergartenkindern ausprobieren und wären ein Baustein im Rahmen der „Bildung für nachhaltige Entwicklung“ im Kindergarten.

 

(Der rote Elefant 40, 2022)