„Da sind Leute, die glauben, ich hätte etwas Furchtbares getan. Sie glauben es schon seit zwei Apfelernten …“ Das Furchtbare ist der Tod von Masons bestem Freund Benny. Warum war Benny aus ihrem Apfelbaumhaus abgestürzt, obwohl Mason eine stabile Leiter gebaut hatte?
Um der „ganzen Wahrheit“ in dieser Schuld-Frage auf die Spur zu kommen, empfiehlt Miss Blinny, die Schul-Sozialarbeiterin, ein Computer-Sprachprogramm, weiß sie doch, dass der Siebtklässler Legastheniker ist und nicht nur ein Problem hat. Mason ist zu dick und leidet an einer Krankheit, die häufig Schwitzanfälle auslöst. Also ein „Opfer“. Die Mitschüler Matt und Lance haben Mason besonders auf dem Kieker, aber auch den intelligenten, schmalen Calvin, Masons neuen Freund. Zum Glück entdecken die Freunde einen vergessenen Erdkeller, den sie mit Figuren aus der Lascaux-Höhle schmücken, nachgemalt mit verkohlten Ästen von Apfelbäumen. Doch die Peiniger lassen nicht nach. Äpfel als Wurfgeschosse sind im Rahmen ihrer Quälereien noch das kleinere Übel. Als sich Mason und Calvin während einer Flucht vor Matt und Lance trennen, verschwindet Calvin spurlos. Und wieder soll Mason schuld sein …
Die amerikanische Autorin bindet recht viele Probleme an Mason, da er auch noch in einer Familie lebt, die nur aus der Großmutter, dem antriebsarmen Onkel und einer zugelaufenen, süchtig online-shoppenden Jugendlichen besteht. Der Vater ist abgehauen, ein „Auf-und-davon-Dad“, die Mutter wurde von einem Auto überfahren. Trotzdem gelingt das Porträt eines Jungen, der sich nicht nur in gefahrvoller Umwelt, sondern auch gegen die eigene Unsicherheit behaupten lernt. Dabei spiegelt die Erzählweise des praktisch tüchtigen Ich-Erzählers dessen Artikulationsprobleme wider, gekonnt ins Deutsche übersetzt, z. B. durch die stereotype Wendung „Ich sag mal so“. Literarischer Ort ist eine US-amerikanische Kleinstadt, die sich im Umbruch befindet, wovon Masons Familie existentiell betroffen ist. Diese besitzt eine Apfelplantage, von der sie einst lebte. Nun sichert der Landverkauf ihre Existenz in einer „Bruchbude“, bedrängt von Neubauten für Zuzügler, die in der neuen Fabrik am Stadtrand arbeiten sollen. Aber immer noch wird die Zeit traditionell in „Apfelernten“ gemessen, die Früchte bestimmen pur oder verarbeitet das tägliche Essen und als die „ganze Wahrheit“ endlich erzählt ist, gibt es vielleicht auch für die Plantage einen Neubeginn.
Besonders beeindruckt Connors detaillierte Schilderung des Höhlenausbaus, verbunden mit der Mühe um die Lascaux-Kopien. Diese könnten als Einstieg ins Buch dienen, insbesondere die Verweise auf den „Auerochsen“, der Mason Kraft gibt. Wofür könnte er diese brauchen?
(Der Rote Elefant 39, 2021)