Cover: Kate Milford, Greenglass House

Die abenteuerliche Detektivstory – erzählt in Agatha Christie-Manier – spielt im legendären Schmuggler-Hotel „Greenglass House“ in einem phantastischen Ort namens Nagspeake. Milo, 12-jähriger Adoptivsohn der Hotelbesitzer, ist entsetzt, als sich über die Weihnachtsferien unerwartete Gäste einquartieren, die alle etwas zu verheimlichen scheinen. Als ein Schneesturm das Haus von der Außenwelt abschneidet, taucht eine Schatzkarte auf und Diebe treiben ihr Unwesen. Milo und Meddy – die vermeintliche Tochter der Köchin – ermitteln und bringen sich dabei selbst in Gefahr. Derweil geht ein Hausgeist um, der Strom fällt aus und Gäste und Personal erzählen einander Geschichten am Kamin. Erlebtes, Ermitteltes und Erzähltes greifen ineinander, so dass alle Geheimnisse bezüglich Hotel und Personen entschlüsselt werden: Identität(en), Familiengeschichte(n) und sogar ein alter Kriminalfall. Hilfreich bei Milos eigener Suche nach Identität und Orientierung ist Freundin Meddy, die ihm das Rollenspiel „Seltsame Spuren“ nahebringt. Aufgrund der Rollenwahl werden Spieler in der realen Welt befähigt, inkognito Aufgaben oder Rätsel zu lösen.

Kate Milford schreibt Unterhaltungsliteratur im besten Sinne. Sie ist in der Lage, verschiedene Genres, komplexe Themen, Handlungsstränge und Charaktere intelligent miteinander zu verknüpfen, was vorliegendes Kinderbuch (Edgar Allan Poe-Preis) erneut belegt. Die an Milos Person gebundene, verzweigte Geschichte erfordert dabei vom Leser konzentrierte Aufmerksamkeit. Immer wieder werden Erzählfäden fallengelassen und erst später wieder aufgenommen. Orte und Gegenstände, so staubige Speicher und alte Schlüssel, aber auch Märchenmotive sind symbolische Bedeutungsträger, stehen beziehungsreich zueinander und untersetzen die vordergründige Handlung. Ist z. B. von Schätzen die Rede, können tatsächliche, aber auch immaterielle gemeint sein wie etwa Großzügigkeit und Empathie. Letztere, so eine Botschaft der Autorin, haben mit wachsendem (Selbst-)Vertrauen zu tun. Ist dieses noch nicht so stabil, hilft vielleicht ein Rollenspiel wie „Seltsame Spuren“.

Zur Bucheinführung entwickeln ältere Kinder ihren Wunschcharakter: Wer möchten sie sein? Was wollen sie können? Welche (magischen) Gegenstände helfen dabei?

(Der Rote Elefant 35, 2017)