Fabeln aus aller Welt
Illustration: Karsten Teich
Herausgegeben von und mit einem Vorwort von Sybil Gräfin Schönfeldt
208 Seiten
ab 5 Jahren
€ 24,95

Diese umfangreiche Edition ist eine Fundgrube für Vorleserinnen. Sie präsentiert über 100 Fabeln (einige fabelhafte Märchen und Balladen haben sich „gattungsfremd“ eingeschlichen!) von bekannten und unbekannten Dichtern längst vergangener und heutiger Zeit. Gereimtes von Jean de La Fontaine oder Robert Gernhardt steht neben Prosa von Marie de France oder Iwan Krylow. Nichteuropäische Texte stammen aus China, Indien, Afrika, Nordamerika, Australien oder Brasilien. Mehrheitlich sind es Tierfabeln, deren Personal knapp 70 Arten umfasst und von Ameise bis Ziegenbock reicht. Sie alle sprechen und agieren menschlich, um Habgier oder Geiz, Hochmut oder Feigheit aufzudecken oder soziale (Macht)Stellungen zu hinterfragen. Häufigster und ausschließlich europäischer Protagonist ist der schlaue Fuchs, gefolgt vom Löwen, der sich als „internationalstes“ und „langlebigstes“ Wesen erweist. Seine Zuschreibungen ähneln sich, unabhängig von Entstehungszeit und Herkunft: gefräßig und gebieterisch verbreitet er Angst und Schrecken, so dass seine Untertanen ihm gegenüber einander (an ihn) verraten. In Texten aus Brasilien und Indien allerdings überlisten ihn kleinere Gegenspieler: Maus, Hase und Ziegenbock.

Diese vielseitige Auswahl unterstützt Karsten Teich mit zahlreichen, farbigen Illustrationen. Das Fabelpersonal entlarvt er zeichnerisch durch dessen Kopf- und Körperhaltungen als scheinheilig, streitsüchtig oder eitel und einfältig. Bei der Figurengestaltung verzichtet Teich oft auf Schraffuren, Schattierungen oder Farbverläufe, ganz der dem Comic entstammenden „ligne claire“ verpflichtet. Teichs Farbpalette leuchtet schon auf dem Titelbild: vor hellblauem Grund formieren sich Tiere in Pink, Orange, Blau oder Grün gekleidet zu einer gewagten Pyramide. Buchseiten sprengende Szenarien wechseln sich ab mit kleinformatigen Porträts. Die Illustrationen unterstützen das Verstehen der Fabeln, die für Kinder eine frühe literarische Erfahrung darstellen, mit der sie lernen, Erzähltes von Gemeintem zu unterscheiden.

Gut gegliederte Anhänge liefern wie nebenher eine kleine Editionsgeschichte des deutschsprachigen „Fabel“-Buchmarktes aus dem 19., 20. und 21. Jahrhundert. Jedem Autor sind drei Zeilen gewidmet, die über Leben und Werdegang informieren. Schade, dass sich bei Wilhelm Buschs und James Thurbers Lebensdaten Fehler einschlichen. (s. a. Veranstaltungskonzept am Ende des Heftes.)

(Der Rote Elefant 30, 2012)