Das Haus, das ein Zuhause war
Illustration: Lane Smith
Aus dem amerikanischen Englisch von Uwe-Michael Gutzschhahn
44 Seiten
ab 5 Jahren
€ 16,00

„Tief im Wald steht ein Haus, nur mehr ein Haus, das früher einmal ein Zuhause war, nun aber nicht mehr.“ Mit diesen überschauenden Sätzen eröffnet Julie Fogliano ihr Bilderbuch (DJLP-Nominierung 2020). Die blassblau-rötlich eingefärbte Coverillustration von Lane Smith dagegen bindet Leser- und  Betrachter*innen sofort an die (Frosch-)Perspektive von zwei im Vordergrund stehenden Figuren, von denen nur die Beine zu sehen sind. Durch sie hindurch ist ein entfernt stehendes, windschiefes Haus auszumachen. Cover, Titel und Eingangssätze knüpfen an ein bekanntes Phänomen an: Man spaziert durch einen Wald und entdeckt ein verfallenes Haus. Spannend! Welche Leute wohnten darin? Waren sie in dem Haus glücklich? Zogen sie freiwillig aus oder mussten sie es tun? Und wer sähe sich nicht gern in solchem Haus einmal um? Genauso geht es den kindlichen Protagonisten, zu denen die Cover-Beine gehören. Sie wagen sich hinein („Wir flüstern nur noch, statt richtig zu sprechen. Wir flüstern, obwohl es niemanden stören würde, wenn wir es nicht machten.“) und erkunden behutsam die Räume. Dabei entdecken sie jede Menge zurückgelassener Dinge – Malutensilien, Bücher, einen Napf, Schallplatten, Flaschen, Dosen, sogar einen Schlüssel – und fragen sich: Was könnten diese Gegenstände mit den einstigen Bewohnern zu tun gehabt haben? „War es ein Mann mit Brille und vollem Bart, der aus dem Fenster schaute und träumte vom Meer?“, „Gab es eine Katze, die vor dem Kamin schlief, oder ein Mädchen, das zu seinen Schallplatten tanzte und sang?“ Lane Smith nutzt inhaltsbezogen verschiedene Techniken. Farbdrucke überlagern sich, darin strichelt oder kratzt er und tupft mit Schwämmchen. Zartere Bilder gestalten die Vergangenheit, wie z. B. das verwitterte Haus. Die Gegenwart dagegen, insbesondere die Phantasien der Kinder über mögliche  Hausbewohner und die Funktion der Dinge, kommen überaus farbkräftig daher. Am Ende schließt sich ein Kreis. Die Kinder kehren zurück in ein Haus, das ihr Zuhause ist und das sie vielleicht nun etwas anders sehen: „Zurück in ein Haus, wo unser Abendbrot wartet. Zurück in ein Haus, wo es gemütlich und warm ist.

Neben den ins Bild gesetzten Vorstellungen der Protagonisten lassen die poetisch anmutenden, knappen Sätze von Julie Fogliano noch genug Raum für weiterführende Assoziationen zu den entdeckten Dingen durch Leser- und Betrachter*innen. Des Weiteren könnte man Kinder, vor oder nach (Vor-)Lesen und Betrachten, dazu anregen, von eigenen ähnlichen Erlebnissen zu erzählen. Oder sie gestalten Dinge, die sie in so einem geheimnisumwitterten Haus erwarten oder gern finden würden. Ein interessantes Detail im Buch ist ein blauer Vogel, der sich auf nahezu jeder Seite findet. Welche Rolle spielt er in dieser Erzählung?

(Der Rote Elefant 38, 2020)