Eines Nachts im Paradies schauen Adam und Eva von einem Mooslager aus in den Himmel. Eva kommt die Idee, sie könnte die unzähligen Sterne zählen. Beim Nachdenken, was für eine Ewigkeit das dauern würde, gerät das Paar in Streit. Eva gesteht, dass ihr das ewige Paradies verleidet sei: „Uns bleibt ja hier nichts zu wünschen übrig.“ Ratlos berührt Adam die Frau – und erfindet dabei den Kuss, „sogar mehrere Küsse“. Die Küsse zurückgebend, flüstert Eva: „Paradiesisch“.
Anfänge von Welt und Leben interessierten Schubiger zeitlebens. Im Geschichtenband „Als die Welt noch jung war“ (DJLP 1996) inszenierte er erzählerisch verschiedene Varianten. Der bisher unveröffentlichte Nachlasstext fügt diesen eine ebenso ‚alte‘ wie neue Facette hinzu. Ausgangspunkt ist erneut der biblische Schöpfungsmythos, dem der Autor eine Art Szene entlehnt und daraus eine literarisch dichte Kurzgeschichte entwickelt. Sowohl die auktorialen Erzählerpassagen als auch die pointierten Dialoge des Protagonisten-Paares sind sprachlich von präziser Einfachheit. Zugleich durchzieht sie ein feinsinniger Humor. Verführen bereits die zentral umkreisten, mehrdeutigen Begriffe Paradies (etwa „wie in einem zoologischen Garten leben“) und Ewigkeit („gewöhnliche, doppelte, halbe“) zum Philosophieren, so erst recht die hintergründige Geschichte im Ganzen.
Eine evolutionsgeschichtlich-naturwissenschaftliche Interpretation und Erweiterung des Textes leisten Berners großformatige, doppelseitige, farbintensive und detailreiche Illustrationen. Während Adam und Eva als nacktes Paar unterschiedlicher Hautfarbe mit ausdrucksvoller Mimik einen Tag und eine Nacht auf der Erde weilen, vollzieht sich am Himmel über ihnen ein Mondzyklus nach.
Pflanzen- und Tierwelt aus verschiedenen Zeitzonen bilden, mit Einzellern im Meer beginnend, über Pilze, Dinosaurier bis hin zu Haustieren an Land und in der Luft, biologische Entwicklungsprozesse ab. Ein Granatapfelbaum, der sich aus einem Kern zu einem prächtige Früchte tragenden Baum entwickelt, spiegelt die Jahreszeiten wider – und verweist als Symbol für Fruchtbarkeit augenzwinkernd auf den Schöpfungsmythos zurück: Zuletzt nämlich sitzen Adam und Eva inmitten vieler Tiere – auch eine Schlange ist darunter! – auf dem Baum und reichen einander Granatapfelkerne zu.
Den vielschichtigen Anregungen, Entdeckungs- und Verknüpfungsmöglichkeiten, die das kunstvolle Hartpappe-Buch jüngeren wie erwachsenen Leser*innen bietet, widmet man sich am besten in kleinerer Runde gemeinsam.
(Der Rote Elefant 40, 2022)