Der Singer/Songwriter und Gitarrist Jeff Zentner aus Nashville/Tennessie betreut auch junge Musiker in Rock-Camps. Erfahrungen aus dieser Tätigkeit liegen seinem Romandebüt zugrunde, in dem er den Alltag und die Freundschaft dreier Jugendlicher im letzten High-School-Jahr beschreibt. Dafür installiert er einen überschauenden Erzähler, der, zwischen den Hauptfiguren Dill, Travis und Lydia wechselnd, Einblick in deren Gedanken und Gefühle gewährt und beschreibt, wie diese der Kleinstadttristesse in Forrestville entkommen wollen.
Dill hilft die Musik, Zukunftsängste zu übertönen. Dill weiß genau, dass „das Leben einfacher ist, wenn niemand dich wegen deines Namens hasst und es dir gar nicht einfällt, dich für ihn zu schämen.“ Dills Vater, Pastor der „Kirche der Jünger Christi mit den Zeichen des Glaubens“, sitzt im Gefängnis, weil er pornografische Kinderfotos besaß. Dill jobbt nach der Schule im Supermarkt, um der Mutter, die mehr als zehn Stunden täglich im Motel putzt, zu helfen, den väterlichen Schuldenberg abzutragen. Gegen ihre ärmlichen Verhältnisse sowie Hass und Häme der Mitbürger betet die Mutter in fanatischer Weise an. Sie hält das Leben für Gottes Prüfung und verlangt von Dill Demut und Schicksalsergebenheit. Lydia wiederum kommt aus begütert-liberalem Elternhaus. Mutter, Immobilienmaklerin, und Vater, Zahnarzt, unterstützen die Pläne der Tochter, in New York zu studieren. Lydia träumt von einer Karriere als Modejournalistin und bereitet diese mit einem erfolgreichen Blog vor. Travis‘ älterer Bruder kam als Soldat in Afghanistan ums Leben. Überdies muss Travis seelische und physische Verletzungen durch den „saufenden“ Vater ertragen und „stillt seinen Hunger nach Heldentum und Kampf mit Fantasy-Büchern“. Am liebsten geht das Außenseiter-Trio „Züge gucken“, um zu spüren, „wie viel Bewegung es in der Welt gibt“ und um daran teilzuhaben. Als Dill einen Schulmusikwettbewerb gewinnt, beginnt sein Umdenken. Vielleicht ist ein Leben außerhalb von Forrestville doch möglich? Letztlich jedoch ist es die Trauer um Travis, der einem Verbrechen zum Opfer fällt, die ihn veranlasst, seinen (Aus)Weg zu suchen. Der Stoff eignet sich bestens für einen rührseligen Hollywoodfilm. Zentner schrammt jedoch in seiner Milieustudie gekonnt am Kitsch vorbei, weil er durch authentische Dialoge und Monologe (dank der Übersetzung) die Leser*innen in einen zwar mitfühlenden, aber dennoch distanzierten Beobachterstatus versetzt. Es sind zwar sehr amerikanische Verhältnisse, die da in den Blick kommen, trotzdem sind Vergleiche mit eigenen Lebensvorstellungen möglich. Wie soll mein Leben aussehen? Wo will ich zu Hause sein? Welche Vorstellungen von der Welt prägen mich? Neben dem Nachdenken darüber, stände auch der Begriff des „American way of life“ zur Diskussion.
(Der Rote Elefant 37, 2019)