Als der 10-jährige Noel im Bus einen geheimnisvollen Wunschzettel findet, kommt ihm dieser gerade recht. In der neuen Schule bezeichnet ihn die Lehrerin als „schwierig“ und „altklug“. Zu Hause fehlt Mama, die bei „Ärzte ohne Grenzen“ arbeitet, und Papas Mantra, wie „wunderbar“ sie allein zurechtkämen, nervt Noel. Er weiß längst, warum Mama nach Afrika ging: Die Eltern „schwindelten sich durch die Zerstörung unserer Familie“. Als Erstes wünscht sich Noel einen Freund, als Zweites eine neue Lehrerin und als Drittes Mamas Rückkehr. Die Wünsche gehen prompt in Erfüllung, haben aber eine Kehrseite. Die schlimmste: Vor Mamas Rückkehr kommt Papa mit einer Herzattacke ins Krankenhaus.
Der Empathie der Leser*innen kann sich der Protagonist von Anfang an sicher sein. Noch vor die eigentliche Familien- und Freundschaftsgeschichte setzt die schwedische Autorin einen Prolog. Darin appelliert Noel hinsichtlich seines „Allein-Seins“ an die Vorstellungskraft der Leser*innen, um sie dann in seine Erzählung voller Magie, Wunder und komplexer Realität mitzunehmen. Weder Leser*innen noch Noel wissen am Ende, ob der Wunschzettel wirklich magische Kräfte besaß oder alle damit verbundenen Ereignisse „Zufall“ waren. Die Frage, ob es neben dem rational Erklärbaren noch etwas anderes gibt, bestimmt die Gedanken und Schuldgefühle des Ich-Erzählers, die Gespräche mit der neuen Freundin Wolke oder Noels Schulaufsatz „Was wir nicht sehen können“. Vieles bleibt in der Schwebe, doch die Autorin lässt keinen Zweifel daran, dass sich Krisen nicht mit Rückzug oder Wunschdenken lösen lassen. Eher mit Nachdenken und Miteinander-Reden, was erst die Kinder und später auch die Erwachsenen überzeugend tun. Die psychologisch differenzierte, in den Figurenbeziehungen glaubwürdige und philosophisch anregende Geschichte endet an einem Heiligabend und deshalb wohl etwas zu harmonisch, was der Substanz der Geschichte ebenso wenig gerecht wird wie die harmlos-liebliche Covergestaltung. Für einen Bucheinstieg wäre Kasteviks „geheimnisvoller Wunschzettel“ seitens der Kinder anonym auszufüllen, um darauf aufbauend über Für und Wider des Gewünschten zu diskutieren. Nach Prolog und 1. Kapitel ständen dann Noels mögliche Wünsche im Fokus.
(Der Rote Elefant 37, 2019)