Wie ein Stein in mir
Aus dem Niederländischen von Rolf Erdorf
136 Seiten
ab 14 Jahren
€ 12,95

Esther hat sich am 23. Juli 1942 die Stimme aus dem Leib geschrien, als Uniformierte ihre Eltern im Warschauer Ghetto erschossen. Widerstands- und sprachlos lässt sie sich ins Waisenhaus des Janusz Korczak bringen. Hier beginnt die Erzählung, die am 4. August 1942, dem Tag der Deportation aller Kinder, endet. Die Ich-Erzählerin beschreibt das Haus, den Saal, die spielenden Kinder, den alten Mann, die Frau mit der weißen Schürze. Sie hört Worte, aber versteht sie nicht, versinkt ins Dunkel, wenn Erinnerungen erdrückend wie Steine werden.

Der Text ähnelt einem Drehbuch. Zwischen handelnden und sprechenden Personen schwebt Esthers Ich, alles genau beobachtend, seltsam entrückt und distanziert. Das entspricht der seelischen Abspaltung, mit der Esther ihr Trauma verarbeitet. Als das Mädchen Heft und Feder bekommt, folgt es der Aufforderung „Du schreibst einen Bericht zu jedem Tag. Dann hast du später immer etwas, worauf du zurückgreifen kannst.“ Esthers Tagebuch  offenbart Gedanken und Gefühle, die den Leser zutiefst berühren und mitfühlen lassen. Rezeptionspsychologisch bedacht erleichtert die Autorin damit vor allem jungen Lesern die Verarbeitung dieser unvorstellbar grausamen Vernichtung von Menschen durch Menschen. Vor jedem der dreizehn Tage steht ein Zitat aus den Schriften des Arztes und

Reformpädagogen Janusz Korczak, das  von dessen menschlicher Haltung zu Kindern kündet. Am Ende legt Korczak Esthers Tagebuch in eine Schublade – zu seinem eigenen. „Dann haben wir etwas, zu dem wir zurückkommen können.“ Aus den atemlos, gehetzt gesprochenen Worten ahnt Esther (wie der Leser), dass Schlimmes bevorsteht. Mit diesem fiktionalen Zeitdokument würdigt die Autorin  Janusz Korczaks Lebensleistung. Er schuf 192 jüdischen Waisenkindern in lebensbedrohlicher Zeit eine lebenswerte Heimstatt und ging mit ihnen ins Vernichtungslager Treblinka. Mit der Figur der Esther gedenkt sie auch der Opfer.

Korczaks Tagebücher und Aufzeichnungen pflegt das Forschungs- und Dokumentationszentrum Korczakianum Warschau, dem die Autorin ausdrücklich für die Unterstützung dankt.

(Der Rote Elefant 30, 2012)