Roter Elefant

„I-i-ich heiße B-B-B-Billy Pliiimpton, u-u-u-und ich stottere.“ Ein Handicap, wenn einer davon träumt, als Komiker auf der Bühne zu stehen. Und so kämpft Billy im Alltag verzweifelt gegen das Stottern an, erstellt Listen und entwickelt ausgefeilte Strategien. Ohne Erfolg. Parallel dazu entdeckt Billy jedoch andere Dinge, die ihn bereichern, wie den Mittagsklub in der Schule und das Schlagzeugspielen. Er findet echte Unterstützung und Freundschaft. So gestärkt  behauptet er sich mutig und clever zugleich gegen den Mobber in der Klasse. Das Happy End besteht dann auch nicht in der ersehnten Überwindung des Stotterns, sondern in dessen beiläufiger Akzeptanz. Das Buch endet mit einer Liste von allem, was Billy ausmacht, und der er lässig hinzufügt: „Ach ja, und außerdem stottere ich.“

Mit der Suche nach Selbstverwirklichung, Anerkennung und Freundschaft werden universelle Themen angesprochen, die jedoch unter dem Vorzeichen des Stotterns für den Protagonisten eine besondere, persönliche Dringlichkeit haben. Bewegend und psychologisch glaubwürdig lässt die Autorin Billy seine Verzweiflung, das permanente Kreisen der Gedanken um das Stottern und die damit verbundene Ausgrenzung schildern, wobei in ihren Debütroman persönliche Erfahrungen mit ihrem stotternden Sohn einfließen. Auch ist Helen Rutter selbst Schauspielerin und mit einem Komiker verheiratet. So weckt die einfühlsame und warmherzige Geschichte ein tiefes Verständnis für betroffene Kinder, schafft die schwierige Balance zwischen Tragik und Komik und bietet viele Anlässe zur Identifikation und Auseinandersetzung. Locker an die Lesenden gewandt und nah an der Zielgruppe beginnt Ich-Erzähler Billy jedes der 32 Kapitel mit einem Witz. Seine Erzählung ist abwechslungsreich und flüssig, das Stottern selbst wird lediglich in der wörtlichen Rede deutlich. Auch wenn die Perspektive eines 11-Jährigen in Wortwahl und Reflexivität manchmal etwas überzogen erscheint, wirkt dessen Gefühlswelt insgesamt absolut nachvollziehbar.

In Veranstaltungen könnte das überaus empfehlenswerte Hörbuch einbezogen werden, das Billys Nöte andeutungsweise hörbar und so noch unmittelbarer nachfühlbar macht. Seine Sprache, sein Stottern, sein Humor, seine ganze Persönlichkeit werden darin sensibel und berührend eingefangen. Darüber hinaus bieten Billys Listen zur Verarbeitung von Gedanken und Selbstwahrnehmung eine gute Möglichkeit des Anknüpfens an den Text, laden sie doch zur Selbstbefragung in Form eigener Listen und Überlegungen ein.

(Der Rote Elefant 40, 2022)