Es ist Frühling. Langsam nähert sich der Fuchs einem einsam gelegenen Bauerngehöft. Unruhe verbreitet sich unter den Tieren auf dem Hof. Droht Gefahr? Die Hühner flattern hin und her, die Gänse schnattern aufgeregt, die Katzen verschwinden im Haus, die Mäuse schlüpfen in ihr Versteck und die Kühe scharren mit den Hufen. Wen wird der Fuchs holen? Doch es kommt anders. Der Abend bricht herein und der Fuchs sitzt erwartungsvoll vor der Eingangstür. „Da bist du ja, alter Freund! Kränk dich nicht! Die anderen wissen noch nicht, dass Fuchs nicht gleich Fuchs ist. Gibt ihnen Zeit! Aber jetzt komm herein!“ Mit diesen Worten begrüßt ihn der Bauer. Und der Fuchs tritt ein und bleibt bei seinem menschlichen Freund. Ein Abendessen wartet auf ihn und am Ende eine zärtliche Umarmung.
Heinz Janisch beschreibt poetisch in Versform mit wenigen Worten, was auf dem Bauernhof vor sich geht, als der Fuchs kommt. Mehr Text bedarf es nicht. Der Covertitel „Und dann kam der Fuchs“ als Anfang der zweizeiligen Verse auf jeder Doppelseite steigert die Spannung über den Verlauf des Geschehens bis zur unerwarteten Wendung. Kai Würbs greift diese Spannung auf und fokussiert mit seinen farbintensiven großformatigen Ölbildern den Betrachter so stark, dass dieser durch direkten Blickkontakt mit den Tieren in die Geschichte hineingezogen wird.
Im Vordergrund der fast fotorealistisch gemalten Bilder, gelbblühende Rapsfelder und sattgrüne Wiesen vor einem roten Backsteingebäude, sind die erschrockenen Tiere mit weit aufgerissenen Augen fast schon übergroß abgebildet, während im Hintergrund der Bauer seinem Arbeitsalltag nachgeht.
Die für die Bauernhoftiere ungefährlichen Besuche des Fuchses ändern nichts an ihrem Verhalten. Sie sehen in ihm weiterhin ein Raubtier und einen Hühnerdieb. Aber Fuchs ist nicht gleich Fuchs und Mensch nicht gleich Mensch. Ausgehend von der ungewöhnlichen bedingungslosen Freundschaft in der Geschichte lässt sich mit verschiedenen Altersgruppen gut über das Thema Freundschaft philosophieren. Das Bild mit dem sich in die Arme des Bauern schmiegenden Fuchses könnte ein irritierender und neugierig machender Einstieg vor der gemeinsamen Lektüre sein.
(Der Rote Elefant 40, 2022)