Südfrankreich im ausgehenden 19. Jahrhundert: Der achtjährige Rémi ist ein Findelkind mit geheimnisvoller Herkunft und lebt bei seiner geliebten Pflegemutter Barbarin. Als sein Pflegevater ihn an einen Spielmann vermietet, muss Rémi sein Zuhause schweren Herzens verlassen. Doch er findet im charismatischen Vitalis und dessen Hundetruppe eine neue Familie, mit der er durchs Land zieht und auf Marktplätzen auftritt. Bis Vitalis in einer eisigen Winternacht erfriert und Rémi ganz auf sich allein gestellt ist. Er übersteht Hunger und Leid und trifft andere Kinder, die aus Geldnot verkauft und ausgebeutet werden. Doch lernt Rémi trotz aller Entbehrungen auch, die Freiheit eines ungebundenen Lebens in der Natur zu schätzen. Und, dass „Familie“ nicht zwangsläufig Blutsverwandschaft bedeuten muss. Diese Erfahrung prägt Rémi, auch als er im 2. Teil des Buches seine wahre Herkunft entdeckt.
Hector Malots Kinderbuchklassiker von 1878 wurde als Prachtausgabe neu herausgegeben und von der niederländischen Autorin Tiny Fisscher modern überarbeitet, wobei der Stil des knapp 150 Jahre alten Textes bewahrt wurde. Was jedoch heute als „historisch“ angesehen wird, war damals Gegenwart. 1878 galt „Nie mehr allein“ als französisches Pendant zum wenige Jahrzehnte zuvor edierten „Oliver Twist“, der ebenfalls zuerst in einer Zeitschrift als Fortsetzungsgeschichte erschien (s. Verlagsinformationen). Damals romantypisch wählte Malot einen objektiven Erzähler, über dessen Stimme er die Realität im ländlichen Frankreich mit allen sozialen Härten anprangerte: Kinderarbeit, Armut, Misshandlung und Willkür durch die Obrigkeit. In den recht eindimensionalen Figurencharakteristiken unterscheidet sich der Roman allerdings von heutigen Kinderbüchern. So ist die Figur des Rémi von bruchloser Gut- herzigkeit und alle Frauenfiguren spiegeln tradierte Rollen. Innerhalb der farbigen, z. T. ganzseitigen Aquarelle finden sich jedoch ergänzende Persönlichkeits“bilder“, die z. T. texterweiternd von Figuren und deren Beziehungen erzählen. Überdies vermitteln die Illustrationen einen stimmigen Eindruck von Landschaft, Kleidung, Behausungen und Arbeitswelt.
Rémis „märchenhafte“ Abstammung am Schluss wirkt aus heutiger Sicht unnötig aufgesetzt. Was das Buch dennoch besonders macht, ist der humorvoll gestaltete warmherzige Umgang der Kinder untereinander, deren Solidarität und die sehr realistisch gezeichneten sozialen Verhältnisse. Zusammen mit der nur scheinbar „altmodischen“ Erzählweise geht das Buch mitunter über das hinaus, was man Kindern heute literarisch zutraut. (Der Rote Elefant 37, 2019)