Eigentlich ist es ein Krimi, und nicht nur für Jungs. Neben dem finsteren Harry Lime – einem archetypischen Schurken, der sich in den Wirren nach dem Zweiten Weltkrieg durch Penicillinschiebung bereichert – fesselt vor allem die unscheinbare und traurige Anna. Bestens informiert über die Machenschaften ihres Freundes Lime ist sie trotzdem unfähig, von ihm freizukommen. Dass der Roman aus dem Drehbuch für einen 1949 gedrehten Film hervorging, ist nebensächlich. Der Schauplatz, eigentlich das zerstörte Wien 1945, könnte auch Berlin nach dem Krieg oder das jetzige Bagdad sein. Die Handlung könnte trotz Lokalkolorit in unserer Zeit wurzeln; es dominieren die großen Fragen der Humanitätsbewahrung in Krisenzeiten – Fragen, die auch die heutige Jugend intensiv beschäftigen. Erzählt wird auf zwei Ebenen – durch zwei beteiligte Personen. Spannende Szenen, teilweise mit Humor gewürzt, führen den Leser bis zum schaurigen Schluss, als Schurke Harry Lime in der Wiener Kanalunterwelt stirbt und somit die Gerechtigkeit siegt.
Die Übersetzung ist gelungen. Reizvolle, leicht verfremdete Schwarz-Weiß-Illustrationen begleiten Hauptmomente des Geschehens und erinnern in ihren verschobenen Perspektiven an Bilder aus dem bekannten Film, ohne diese direkt zu zitieren. In der Gruppe könnten junge Leser gerade diesen Filmklassiker (Regie; Carol Reed) ebenfalls erleben und hinterher Meinungen zu den ästhetischen Möglichkeiten von Roman und Film austauschen oder etwa zur Wirkung der betörend-bekannten Zithermusik, welche die gesamte Filmhandlung begleitet. Hilfreich für diesen Vergleich ist das Vorwort, in dem der Autor Graham Greene rückblickend Idee und Entstehungsprozess von Erzählung und Film kommentiert: „Für mich ist es nahezu unmöglich, ein Drehbuch zu schreiben, ohne den Stoff zunächst als Erzählung zu behandeln … Deshalb musste „Der dritte Mann“ obwohl nie zur Veröffentlichung bestimmt, zunächst als Erzählung entstehen … „Der dritte Mann“ sollte nie mehr sein als Rohmaterial … Dem Leser werden zahlreiche Unterschiede zwischen Erzählung und Film auffallen, er darf aber nicht glauben, dass diese Veränderung einem widerstrebenden Autor aufgezwungen wurden … Tatsächlich ist der Film besser als die Erzählung, denn er stellt in diesem Fall die endgültige Fassung der Erzählung dar.“
(Der Rote Elefant 23, 2005)