Fast wie mit Blut – Herzblut? – ist der Name Kafka auf dem Cover über eine Krähe gepinselt, aus deren Kopf des Dichters Augen blicken. Darunter liegen durchgestrichene Kritzeleien, die sich bei genauem Hinsehen als Titel und Autorennamen der Weltliteratur entpuppen. Die erste Innenseite zeigt einen Seehasen im Sprung, einen katzenähnlichen Kopf mit Schnurrbart und eine magere Frau, die ein durchsichtiges Kleid – oder angewachsenes Fell? – trägt. Die Arme sind skelettartig abgemagert, auf der Schulter sitzt ein Geier. Neben weiteren filigranen Ornamenten findet sich der handschriftliche Satz: „Böse ist das, was ablenkt.“
Ein furioser Auftakt für ein Buch, das selbst nur der Auftakt sein kann für genaueres Lesen und Eintauchen in die fremdartige Welt Kafkas. Die eigenwillig ausgewählten Texte kämpfen sozusagen auf den folgenden Seiten mit den Illustrationen der Künstlerin, die darüber auch berichtet: über monatelange, meist nächtliche Auseinandersetzung mit Kafkas Werk. Daraus sind manchmal nur Sätze entnommen, Textfetzen, Fragmente. Auch aus den großen Romanen finden sich einzelne Szenen, daneben Kurzprosa oder epigrammatische Notizen. Von den bekannteren Erzählungen werden nur wenige berücksichtigt („Das Urteil“, „Der Hunger-künstler“, „Bericht für eine Akademie“), vieles wird auch einem gelegentlichen Kafka-Leser unbekannt sein. In einem als Vorwort gedachten Brief der Illustratorin, „Lieber Franz“, gesteht sie ein, dass es „ihr“ Kafka ist, mit dem sie sich herumgeschlagen und den sie versucht hat in ihre Bildsprache zu übersetzen. Mit Stift, Pinsel, Kreide, Kohle hat sie in häufig surrealistisch verfremdeten Szenen den Autor modern, aggressiv, erotisch, träumerisch zu neuem Leben erweckt. Manchmal greift sie inhaltliche Vorgaben zeichnerisch auf (z.B. beim Bericht für eine Akademie oder der Türhüter-Szene), manchmal löst sie sich ganz davon und lässt nur assoziative Bezüge erkennen. Viele seltsame Tiermenschen, bei Kafka kaum zu finden, bevölkern die Seiten – oder weisen darüber hinaus. Nahezu jedes Bild ist verstörend, stellt eigene Fragen oder lässt den Betrachter rätseln. „Ich kann ja dieses Ungeheuer nicht einmal überblicken, es schwemmt mich fort.“ Diese Stelle aus dem im Buch abgedruckten Brief an Milena gilt nicht nur für Kafka, sondern anscheinend auch für die Illustratorin und ihre Traumwelten. Man muss sich auf die visuellen und inhaltlichen Provokationen einlassen, sonst wird der Zugang schwierig. Das sollte auch einem neugierigen jungen Menschen möglich sein, der das Studium der Kunst- und Literaturgeschichte noch vor sich hat. Dann eröffnet sich vielleicht ein originärer Zugang zum Werk Kafkas. Wer allerdings die verwendeten Textsplitter dem Werk zuordnen, den jeweiligen Kontext finden möchte, hat es schwer. Es gibt keine Quellenangaben außer Franz Kafka: Gesammelte Werke.
(Der Rote Elefant 29, 2011)