Sommer ist trotzdem
Aus dem Norwegischen von Karoline Hippe
203 Seiten
ab 10 Jahren
€ 13,00

„Tränen sind Gedanken, die wir nicht in Worte fassen können, hat Papa mal gesagt … Ich wollte nicht weinen. Ich wollte nicht, dass er sehen konnte, wofür ich keine Worte fand.“ Auch nach Papas Tod kann die Ich-Erzählerin nicht weinen. Aber „Sommer ist trotzdem“ und so verbringt die 11-Jährige ohne die Mutter, die seit dem Tod des Vaters viel arbeitet, den Sommer auf einer Schäreninsel bei den Eltern des Vaters. Dort fühlt sie sich aufgehoben: Omas Hand hilft gegen alles  und Opas Hand ist wie ein „weicher Felsen“. Das Kind darf frei umherstreifen und allein mit dem Boot aufs Meer hinaus. Doch birgt Natur neben Schönheit auch Grausamkeit. Einmal strandet ein kleiner Schweinswal. Trotz schnellem Aussetzen wird das Tier wieder an Land gespült, tot. Trost bietet die mit Opa  veranstaltete Seebestattung: mit Blumen, Kakao und Herzwaffeln. Aber auch von den neugeborenen Kätzchen überlebt nur eines, sodass die Erzählerin ständig mit der Endlichkeit des Lebens konfrontiert ist. Erst am Ende des Sommers kann sie wieder weinen und über den Tod des Vaters sprechen. Da sitzt sie am Bett des Großvaters in einem Krankenhaus, wohin dieser nach einem Bootsunfall gebracht wurde. Voraus ging eine gemeinsame Whale-Watching-Tour …

Espen Dekkos psychologisch differenzierter Kinderroman überzeugt innerhalb des Motivs „Umgang mit dem Tod eines Elternteils“ durch Erzählkonstruktion und Rezeptionsstrategie. Zweimal setzt Dekko sein „Ich“ an ein Krankenbett. Anfangs stirbt darin der Vater, am Ende überlebt darin der Großvater. Unfall und „Bett“-Klammer vermitteln, dass Verdrängtes durch Konfrontation aufzubrechen ist, wobei der Autor diesem Höhepunkt langsam zustrebt. Das psychische Gesunden der Ich-Erzählerin wird für die Leser*innen durch den gekonnten Wechsel von abenteuerlichen Natur-Erlebnissen am Meer und deren Auswirkungen auf ihre inneren Befindlichkeiten nachvollziehbar, wobei das Erzählen im Präsens die Unmittelbarkeit des Leseeindrucks verstärkt. Überdies führt der Kunstgriff, dass die Ich-Erzählerin nie mit Namen angesprochen wird, erzählendes und lesendes Ich dicht zusammen. So wird letzteres unmittelbar  angehalten, über den Umgang mit Verlusten nachzudenken und sich der Wahrheit zu nähern, dass Loslassenkönnen und Abschiednehmen Teil des eigenen Lebens sein werden.

Zum Einstieg könnten Kinder in einen „Kummer“-Kasten anonym Antworten auf die Fragen werfen, worüber sie schnell weinen bzw. schwer weinen können, obwohl sie traurig sind. Der Inhalt des Kastens böte reichlich Anlässe, über Wut, Angst, Sprachlosigkeit, Trost u. ä. zu sprechen und dies mit ausgewählten Lesestellen zu verbinden.

(Der Rote Elefant 38, 2020)