Achtung! Vor diesem Buch wird ausdrücklich gewarnt. Es wird als Aufklärungsbuch über Wölfe beworben, kann aber aus Sicht der Rezensentin nur als Warnbuch eingestuft werden. Nach eingehender Prüfung offenbart sich: Lesen – sprich Bildung – ist lebensgefährlich!
Worum geht es? Kaninchen Rabbit entleiht „Achtung Wolf“ aus einer Bücherei. Ein großes Buch: der blutrote Leinendeckel nimmt die ganze rechte Buchseite ein. Anfangs sind Rabbit und Buch getrennt zu sehen. Mit Eintauchen in die Buchwelt vergrößern sich Buchformat und Wolfsillustrationen, Rabbit wird Teil der Handlung. Der lesende Betrachter verfolgt das Geschehen mit und sieht das Unheil kommen! Rabbit nicht! Tief die Nase im Buch spaziert das ahnungslose Karnickel über den seitensprengenden buschigen Wolfsschwanz, durchmisst das Rückenfell, balanciert über die Schnauze und landet schließlich zwischen den gierigen Lichtern. Es scheint, als habe Rabbit den Wolf Kraft seiner Phantasie aus den Buchdeckeln in die Realität befördert und so sein Todesurteil besiegelt. Wie gesagt: Lesen ist lebensgefährlich. Das selbstvergessene Eintauchen in einen Text, die Auflösung der Grenzen zwischen Realität und Fiktion verschlingen den Leser mit Fell und Ohren, anschaulich zerfetzt belegt auf S. 21/22. Da hilft auch kein (2.!) bewahrpädagogischer Schluss, der völlig realitätsfremd von Vegetarier-Wölfen berichtet. Das ist Kaninchenverdummung! Und Bildungseinrichtungen wie die Westhäsische Bücherei der Stadt Rübenhagen am Möhrensee empfehlen diese Art Sachliteratur auch noch ihren Artgenossen. Überdies wird ein völlig lebensfremdes Bild von modernen Büchereien vermittelt. Was sollen im Computerzeitalter herausnehmbare Buchkärtchen, handgestempelte Fristzettel und handschriftliche Mahnungen wegen des nicht zurückgebrachten Buches?

Trotz aller Einwände ein Geschenkbuch für unverbesserliche Buch- und Wolf- und Karnickel-Fans. Eine wunderbare Schauergeschichte mit ironischem Hintersinn über die Faszination des Sichversenkens in ein Buch mit ausdrucksstarken Kohlezeichnungen, ergänzt durch gerissene Collageelemente in rot, gelb und braun. Wie kann sich ein Verlag heute noch solche gestalterische Sorgfalt leisten.– Gott sei´s getrommelt – möge das Buch viele Käufer und Leser finden, trotz Lebensgefahr.

(Der Rote Elefant 24, 2006)