„Ich schaue zu Mies, Dorien, Ben, Stan und Rabenhaar … Ich sehe uns im Schuppen auf dem Boden sitzen. Unsere Köpfe stoßen gegen die Decke, unsere Rücken sind gekrümmt. Unsere Arme suchen sich einen Weg durch die Fenster nach draußen Wir sitzen dort wie Riesen, eingeklemmt in ein Zwergenhäuschen. Das Holz kracht und wird unter dem Druck unserer viel zu großen Körper bald zersplittern.“ Das surreale Bild versinnbildlicht das Wissen des 13-jährigen Ich-Erzählers Bram um das Ende der Kindheit. Besagter Schuppen war Detektei, Friseurgeschäft, Süßwarenladen, Seniorenheim für alte Hühner … Unerschöpflich waren die Spielideen der Freunde. Jetzt gehen sie ihnen langsam aus. Aber noch ein letztes Spiel muss sein, bevor alle nach dem Sommer auf die Oberschule gehen, ein ganz besonderes, eines, das alles bisher Gespielte in den Schatten stellt … Rabenhaar hat die Idee: „Wir können heiraten.“

Do van Ranst gelingt ein psychologisch außerordentliches genau gezeichnetes Porträt einer Gruppe, deren „Wir“-Gefühl sich langsam auflöst. Zunehmend differenzieren sich weibliche und männliche Interessen, Denkweisen, Gefühle, Entwicklungsstufen aus. Dazu kommt das wachsende Bewusstsein um kulturelle Differenzen, ausgelöst durch Rabenhaar. Der Text ist von einer atmosphärischen Dichte, die in der gegenwärtigen Kinderliteratur ihresgleichen sucht. Erzählerisch wechselt van Ranst zwischen Präsens und Präteritum, Vergangenheit und Gegenwart des Gruppengefühls. Ganz leicht, beinahe schwerelos, liest sich der Text, wenn Bram wie in einer Endlosschleife die Kinderspiele der Vergangenheit in der „Wir“-Perspektive repetiert. Dialoge sind hier Teil der Spiele. Die dialogreiche Gegenwartshandlung dagegen spiegelt ästhetisch folgerichtig die Meinungsvielfalt der sich ausprägenden Individuen wieder. Das „Heiraten“-Spiel von Rabenhaar und Bram polarisiert. Nur die langjährige Vertrautheit und gegenseitige Achtung lässt diese Gespräche überhaupt zu. Erst da, wo es um Körperliches und Rituelles geht, offenbart sich für den Leser überdeutlich, dass Rabenhaar einer streng gläubigen islamischen Familie entstammt und was dies kulturell bedeutet: Ihre Schwestern wurden mit vierzehn verheiratet. Do van Ranst lotet das Motiv des „Spiels“ thematisch und motivisch mehrdeutig aus. Rabenhaars Vorschlag, unterstützt von Freundin Dorien, ist der Versuch erwarteter Entmündigung spielend zuvorzukommen, eine Möglichkeit der Selbstbestimmung, Spiel im Sinne von „Leben auf Probe“.

(Der Rote Elefant 26, 2008)